Gitarrist Efrim Manuel Menuck wird kommenden Montag in der Wiener Arena das neue Godspeed- Album "Alleluja! Don't Bend! Ascend!" vorstellen.

Foto: christian fischer

Wien - Im Wesentlichen ist ja alles durchdekliniert. Die Rede ist jetzt nicht davon, dass Hardrock seit bald 50 Jahren ungefähr genau gleich klingt oder Indierock und Alternativpop eher eine Frage des Sounddesigns sind (derzeitiges Must: käsige Synthesizer aus der Ägide Steffie Wergers).

Auch dass elektronische Musik harmonisch gesehen generell den Ball flach hält, ist bekannt. Über deutsche Gangsterrapper, die über bekifften Soul-Samples aus den 1970er-Jahren damit angeben, zu Hause den größten Wohnzimmerwandverbau von allen zu haben und noch hundert Zierkissen dazu, müssen wir auch längst nicht mehr weinen.

Die Musikindustrie geht jedenfalls kaputt. Pop ist tot. Spotify und Youtube leben.

Sogar die Wohlfühlelektroniker und Ach-wenn-mich-nur-gruseln-könnte-Abstrakt-Jazzer werden demnächst aus den Museen und Galerien vertrieben. Sie werden Spätpraktikanten im Bereich "Irgendetwas Kreatives" oder müssen sich gemeinsam mit tausenden Freak-Folk-Studentenbärten und ihren Wandergitarren irgendwo als Hofmusiker bei einem Oligarchen verdingen. Die hören zum Nachtisch gern ein verdauungsstärkendes Freiheitslied oder ein emotional entlastendes Free-Jazz-Saxofon - und manche lassen sich von Laptop-Gewummer auch gern heimlich ordentlich durchwalken. Musik 2012, so schaut es doch aus!

Zu guter Letzt kann man sagen, dass man alles schon einmal und dann noch einmal in verschiedenen Variationen gesehen hat und selbst die Klage über durchdeklinierte Musiken schon mehrfach durchdekliniert wurde. Zynisch gesagt könnte einer also fordern:

Ja, wenn alles angeblich so langweilig geworden ist, dann zeig mir doch bitte zum Beispiel grimmige russische Industrialmusiker, die sich als Drogenmönche verkleiden und mit Räucherstäbchen, Handschellen und Wummergong guttural grunzend tibetanische Totengesänge für ein weltabgewandtes Black-Metal-Publikum nachstellen. Wobei sie eh versprechen, keine rechtsradikalen Sektenspinner zu sein, sondern sich einfach gern verkleiden. Jetzt stehst du aber an, die gibt es nämlich noch gar nicht! Irrtum, muss man darauf sagen, kauf dir doch einfach die CD von Phurpa.

Musik gegen das System

In wieder einmal zu Ende gehenden Zeiten wie diesen wird das Licht, das das Erscheinen eines neuen Albums des kanadischen Kollektivs Godspeed You! Black Emperor umgibt, naturgemäß zum Flammenschwert. Nach zehnjähriger Pause liegt nun auf dem hauseigenen Label Constellation Records das neue, derzeit weltweit in den Blogs und ganz Nerdhausen bejubelte und nach allem gerade Beschriebenen gleichzeitig klingende Album Allelujah! Don't Bend! Ascend! vor.

Die Musiker widmeten sich zwischendurch nicht nur der für alte Hardcore-Punks obligaten Verweigerung des Musikgeschäfts oder diversen Aktivitäten im Kampf gegen den militärisch- industriellen Komplex, zu dem bekanntlich auch die großen Unterhaltungskonzerne zählen. Die politisch bewegten Musiker waren in der Constellation-Familie etwa im artverwandten The Silver Mt. Zion Memorial Orchestra beschäftigt, das Ende November in Wien gastieren wird. Und Godspeed tourten als Begleitband des tragischen US-Songwriters Vic Chesnutt, mit dem sie 2007 bei der Viennale dessen Abschiedsalbum North Star Deserter vorstellten.

Die neuen Godspeed-Stücke auf dem Album Alleluja! Don't Bend! Ascend! belegen immerhin, dass aus der guten alten Tante Semi-Avantgarde in Sachen künstlerische Verarbeitung des Falls der westlichen Zivilisation noch einiges herauszuholen ist. Zum Beispiel jener Hoffnungsschimmer in sterbenden und gern im Bühnenhintergrund projizierten Industrielandschaften, der aus dem anfänglichen Blues einer Godspeed-Komposition am Ende eine gebrochen-schöne Hymne werden lässt.

Wir hören kämpferische, mitreißende, rein instrumentale, zart grenzgängerische und sehr laute neuklassische Kammermusik. Zwischen Free Rock, Ambient Drones oder serbischer Folklore im neuen Stück Mladic ist noch einiges drin. Gangsterrap halt nicht. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 8.11.2012)

Hören Sie hier ein paar Tracks von Godspeed You! Black Emperor im Spotify-Stream: