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Bilder mit Seltenheitswert: Bauarbeiter bei einem Protestmarsch im Jahr 1998 ...

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... dank der Sozialpartnerschaft sind Streiks Mangelware, und selbst Proteste bei Gehaltsverhandlungen kommen in der Vergangenheit kaum vor. Erst in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren bröckelt der Kitt langsam weg, aber nie vollständig.

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Wolfgang Maderthaner: "Es wird eine gesellschaftliche Grundsatzentscheidung geben müssen. Wie richten wir Europa in Zukunft aus und werden wir - nicht unerfolgreiche - Sozialmodelle wie den Wohlfahrtsstaat aufrecht erhalten oder nicht?"

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Unabkömmlich für die Gesellschaft, gut für die Menschen, gut für die Wirtschaft. Zu starr, zu langsam, zu verhabert: Über die Sozialpartnerschaft in Österreich lässt sich gut streiten. In der Nachkriegszeit eingeführt als Garant für sozialen Frieden und faire Bedingungen im wirtschaftlichen Gefüge, steht die Sozialpartnerschaft heute durchaus in der Kritik. In der Kritik jener, die nicht daran teilnehmen können; jener, die die langen Verhandlungen um Kollektivverträge beschleunigen wollen; jener, die dem Proporz ein Ende bereiten wollen.

Im Gespräch mit derStandard.at erklärt der Historiker und Chef des österreichischen Staatsarchivs, Wolfgang Maderthaner, warum der Sozialpartnerschaft gerade in Österreich ein zentrale Bedeutung zukommt und was das alles mit Kapitalismus und der Krise zu tun hat.

derStandard.at: Wie zeitgemäß ist die österreichische Sozialpartnerschaft?

Wolfgang Maderthaner: Diese Frage kann man nicht einfach beantworten. Prinzipiell ist die Sozialpartnerschaft, so wie sie ab den späten 1940ern entstanden ist, der von einer Gesamtgesellschaft angelegte Versuch, eine kollektive Lehre aus den 1930er Jahren, dem faschistischen Wahnsinn und dem Zweiten Weltkrieg zu ziehen. Kreisky nannte es die "Transformation des Klassenkampfes", also den Versuch einer sozialen und politischen Mediation. Man hat ein großes Konfliktpotenzial aus der Gesellschaft herausgenommen, indem man ein soziales Netz geschaffen hat. Natürlich kostet das ein bisschen was. Aber was man sich damit erspart, darf man auch nicht übersehen.

derStandard.at: Was hat sich verändert?

Maderthaner: Jetzt sind wir in einer Phase, in der es global zu einer liberal-kapitalistischen Hegemonie kommt. Selbst in China als letzter kommunistischen Großmacht oder Brasilien unter dem legendären Arbeiterführer (Anm.: Luiz Inácio Lula) oder Vietnam herrscht ein liberal-kapitalistisches ökonomisches Prinzip vor. In Staaten wie Österreich, Deutschland oder den nordischen Staaten Europas hat sich die Idee eines regulierten Kapitalismus erhalten. Mit erstaunlicher Zählebigkeit. Und siehe da: Es sind genau jene Staaten, die am leistungsfähigsten, am exportstärksten, am reichsten sind. Genau jene Staaten, wo die gesellschaftliche Ungleichheit nicht besonders stark ausgeprägt ist, erweisen sich in der Krise nach 2008 als massiv krisenresistent.

derStandard.at: Ist die Sozialpartnerschaft Ausdruck von Harmoniesucht?

Maderthaner: Vielleicht ist es einfach gescheit. Vielleicht lebt da etwas fort, was in die Seelen der Menschen eingeprägt ist. Es ist eine nicht niedergeschriebene Verfassung, die die Menschen akzeptieren und tragen.

derStandard.at: Die österreichische Sozialpartnerschaft gilt als Korporatismus in Reinkultur. Warum kam es gerade in Österreich zu so einer "idealen" Sozialpartnerschaft?

Maderthaner: Da kann ich auch nur spekulieren. Im österreichischen Raum gibt es eine bestimmte staatliche Tradition, die Jahrhunderte zurückreicht und sehr stark von einer obrigkeitlichen Bürokratie geprägt ist. Diese wirkte aber im Idealfall nicht repressiv, sondern hatte eine paternalistische Funktion: Da kann ich meine Tochter unterbringen, da gibt es etwas für meinen Sohn.

derStandard.at: Das klassische österreichische Modell also.

Maderthaner: Richtig. Ein Modell, das übersetzt auch heißt: Wir richten das schon und werden uns nicht die Köpfe einschlagen. Die große Lehre aus den 1930er Jahren ist: Kein Klassenkampf, kein Kulturkampf, Schauen wir, dass wir das am Verhandlungstisch zusammenkriegen – das würde genau in der Tradition der aufgeklärten, wenn auch obrigkeitlichen, josephinischen, sogar Metternich'schen Bürokratie stehen. Das wäre ein Versuch einer Erklärung, warum die Sozialpartnerschaft in Österreich bis heute relativ friktionsfrei funktioniert. Der zweite Grund könnte sein, weil man eine Riesenangst vor den Kommunisten hatte. Nicht vor den Kommunisten als politische Macht, das war ohnehin unattraktiv, aber die hatten Atomwaffen. Das war ein Gleichgewicht des Schreckens im klassischen Sinn. Man hat in Österreich also auch die Sozialpartnerschaft gepflegt, weil das Totalitäre direkt vor der Haustür stand.

derStandard.at: Sozialpartnerschaft in Österreich ist durchaus auch an das Parteibuch gebunden, eigentlich ist es eine Aufteilung zwischen Rot und Schwarz. Kritik kommt vor allem von den übrigen Parteien, linken wie rechten, weil sie nicht teilnehmen können. Funktioniert das Prinzip der Sozialpartnerschaft auch über die rot-schwarze Trennlinie hinweg?

Maderthaner: In meiner Jugend war anti-sozialpartnerschaftlich gleich links. Mit Jörg Haider und dem rechten Populismus kommt die Forderung nach einer Abschaffung der Sozialpartnerschaft später von rechts. Im Wesentlichen kommt die Kritik also von aus dem System ausgeschlossenen oder marginalisierten Gruppen, die natürlich nichtsdestotrotz batzenmäßig profitieren von dem System. Aber die vielleicht in ihren persönlichen Karrieren nicht in das System hineinkommen. Die Sozialpartnerschaft – per se – ist überparteilich angelegt. Die sich gegenüberstehenden Verbände sind eigentlich nicht parteipolitisch zuordenbar.

derStandard.at: Naja.

Maderthaner: Wie wir alle wissen, sind die Interessensvertretungen natürlich parteipolitisch zuordenbar, auch wenn das nirgends vorgesehen ist. Es hat sich also neben der realverfassten Sozialpartnerschaft, die in der österreichischen Verfassung nicht vorgesehen ist, eine zweite Realverfassung entwickelt, nämlich die eines innerhalb des Systems funktionierenden Versorgungsmechanismus'. Mehr ist der Parteienproporz eigentlich nicht, er übernimmt die Funktion des feudalen Grundherren, der für seine Untertanen sorgt. Das ist im Jahr 2012 verdammt unzeitgemäß, funktioniert aber als ökonomisches Prinzip. Die Frage ist, ob es als soziales und kulturelles Prinzip funktioniert.

derStandard.at: Und, funktioniert es?

Maderthaner: Seit 1989, 1990, seit dem Zerfall des "großen Reichs des Bösen" (Anm.: des Ostblocks) hat sich weltpolitisch vieles verändert. Der angloamerikanische Kapitalismus bekommt eine globale Dynamik, und kann mit Sachen wie Sozialpartnerschaft überhaupt nichts anfangen. Hier reguliert der Markt alles und auch sich selbst. Die EU forciert einerseits eine Marktliberalisierung, kann aber auch mit sozialpartnerschaftlichen Systemen integrativ umgehen. Zugleich gibt es vielerorts eine massive Anti-EU-Stimmung, die gleichzeitig auch eine Anti-Sozialpartnerschaft- Stimmung ist. Man erlebt die EU eigentlich als Regulationsmechanismus, genauso wie auch die Sozialpartnerschaft. Da sehe ich unterschiedliche Kräfte am Werk, die eigentlich zentrifugal sind und nicht miteinander können. Deswegen erstaunt mich die Zählebigkeit der Sozialpartnerschaft umso mehr. Das hat man gerade bei den Metallern gesehen.

derStandard.at: In letzter Zeit scheint die Sozialpartnerschaft an den Rändern aber aufzubrechen: Die Metaller verhandeln nicht mehr gemeinsam für alle Branchen, was für einen Aufschrei bei der Gewerkschaft sorgt. Arbeitgeber kündigen Kollektivverträge auf – etwas, das es bisher nie gab. Ist die Sozialpartnerschaft schon dem Ende nahe oder sind das nur kleine Leuchtfeuer in der Krise?

Maderthaner: Es wird eine gesellschaftliche Grundsatzentscheidung geben müssen. Wie richten wir Europa in Zukunft aus und werden wir – nicht unerfolgreiche – Sozialmodelle wie den Wohlfahrtsstaat aufrecht erhalten oder nicht? Oder werden wir alles der globalen Marktkonkurrenz unterordnen? Ein zentraler Platz der Auseinandersetzung wird auch die Regulierung des Arbeitsmarktes sein. Werden wir unsere Arbeitsmärkte völlig dem freien Spiel der Kräfte überlassen, oder werden wir schauen, dass man eine gewisse Regulierung einbringt? Am leistungsfähigsten ist man nicht da, wo es die geringsten Löhne gibt, sondern genau umgekehrt. Nicht dort, wo die Arbeitsmärkte komplett aufgebrochen sind, sondern da, wo sie einigermaßen reguliert sind. Beispiel: Österreich, Schweiz, Deutschland. Zentrale Themen sind auch die Funktion und Zukunft der Sozialdemokratie. Die Frage ist: hat sich der Wohlfahrtsstaat in sich selbst erfüllt? Damit wäre die Sozialdemokratie am Ende ihrer historischen Mission. Im Prinzip gibt es auch nicht mehr viel zu machen. Ein Thema ist zum Beispiel die Pensionsfrage. Durch den sozialen Wohlfahrtsstaat und dadurch, dass Europa in der längsten Friedensperiode seit dem Zweiten Weltkrieg ist, werden die Menschen immer älter. Ganze Männergenerationen sind nicht durch den Krieg verschlissen worden. Da muss man zurückfahren, länger arbeiten.

derStandard.at: Die Sozialpartnerschaft kommt auch aus einer Zeit, in der alles gut lief. Wirtschaftswunder, genug Jobs, die Gewinne sind da. Und es gibt eine Unternehmerkultur, die die Gewinne verteilen will. Heute haben wir die Krise, es heißt, es gibt nicht so viel zu verteilen – auch wenn das nicht immer stimmt. Ist die Sozialpartnerschaft ein Rezept gegen die Krise?

Maderthaner: Es gibt ökonomische Theorien, die sagen, der Kapitalismus ist in sich das produktivste System, dass die Menschheitsgeschichte je gesehen hat. Das in unvergleichlicher Form menschliche Energie in Produktivität umsetzen kann. Aber es kennt in sich keine Beschränkung der Akkumulation, es tut und tut und tut und tut.

derStandard.at: Wir haben ja gesehen, wie super Kapitalismus funktioniert.

Maderthaner: Neben der ungeheuren Produktivität setzt der Kapitalismus selbst destruktive Kräfte frei. Im aktuellen Fall hat man das an den internationalen Finanzmärkten gesehen. Daher gehört das reguliert. Und da kommen dann die ganz neuen Theorien aus der Ökonomie auf, die nichts anderes besagen, als: Sozialpartnerschaft. Das ist für mich faszinierend, dass gerade angesichts der globalen Finanz- und Schuldenkrise als quasi letzter Schrei wieder die Sozialpartnerschaft ausgegraben wird und ein Postkeynsianismus zurückkommt. Erstaunlich, aber für mich nachvollziehbar.

derStandard.at: Die Lösung der Krise geht nicht politisch verordnet von oben aus, sondern muss einen breiten gesellschaftlichen Rückhalt haben und so auch von unten kommen?

Maderthaner: Die Sozialpartnerschaft ist ja auch tendenziell nivellierend und verteilt von oben nach unten um. Das war auch ein Aspekt ihres historischen Erfolges: Sie lässt die oben halt soweit ihre Gewinne machen, dass sie zufrieden sind.

derStandard.at: Mit dem Kritikpunkt, dass der Kompromiss nie alle glücklich macht.

Maderthaner: Wie jeder Kompromiss stellt die Sozialpartnerschaft alle gleich nicht zufrieden. Unterm Strich funktioniert sie aber. Meine große Befürchtung ist: Wenn es keine institutionalisierte Regulierung des Kapitalismus gibt, gibt es über kurz oder lang einen massiven Gegenschlag jener, die von den Segnungen der kapitalistischen Dynamik ausgeschlossen sind. Wir haben es in unserer Geschichte im 20. Jahrhundert einmal mit einer wahnsinnigen Massivität erlebt. Das ist die Befürchtung des Historikers, der sagt: Leute, schaut euch bitte noch einmal genau die 1930er Jahre an. Schaut euch den offensichtlich falschen Weg an, den die größten und damals genialsten Ökonomen eingeschlagen haben. Machen wir bitte nicht noch einmal denselben Fehler. Korporatistisches Kompromisslertum wäre gerade in Krisenzeiten nicht schlecht.

derStandard.at: Auch wenn damit alles sehr lange dauert, sehr lange verhandelt wird, bis ein Ergebnis erzielt wird?

Maderthaner: Diese Langsamkeit ist vielleicht die große Stärke der Sozialpartnerschaft. Dass man zum Denken kommt, und dass man sich die Zeit nimmt, die Position des Gegenübers zu verstehen. Das kann nicht schaden. Wenn die Leute zusammensitzen, kommen sie meistens drauf: Der ist auch kein Trottel. Es ist mir schon klar, dass man das nicht als Funktionsprinzip für ganze Gesellschaften oder Gesellschaften im Umbruch hernehmen kann. Diverse Ebenen der Entschleunigung und der Verhandlungsführung sind schon gut. (Daniela Rom, derStandard.at, 21.11.2012)