Auch Paul Jahnke aus der Reality-Soap "Der Bachelor" (mit Fans) nahm am Mallorca-Marathon teil.

Foto: Thomas Rottenberg

Nach dem Laufevent verschlug es viele Teilnehmer in die Bierzelte am Ballermann, um mit Nichtläufern auf den Tischen zu tanzen.

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Eindeutige verbale und visuelle Botschaften funktionierten als probates Lockmittel.

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Der Geruch in den Spelunken war speziell. Kein Wunder, bei diesen Getränkepreisen.

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Die Frage ist, ob tatsächlich wer außerhalb der Happy Hours konsumiert?

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Echte deutsche Würste - auch bei der festen Nahrung fühlen sich die meisten Gäste heimisch.

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Ein Schnappschuss mit Lauf-Coach Michael Buchleitner (Mi.) und RTL-Moderatorin Katja Burkart bleibt als Erinnerung für daheim.

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Ein paar Namen fehlten in der großen Geschichte: Katja Burkart, Paul Jahnke, Wolfram Kons und Rebecca Mir. Die waren nämlich auch in Palma. Und liefen. Bloß: In der Geschichte über den Mallorca-Marathon im Reiseteil auf derStandard.at kommen sie nicht vor.

Und das, obwohl die RTL-Moderatoren (Burkart und Kons) sowie die von Castingshows geschaffenen Stars (Jahnke aus "Der Bachelor" und Mir aus Model- und Tanzshows) auch liefen. Und wir - also meine Laufgruppe und ich - uns natürlich mit ihnen abknipsten. Obwohl wir (also: ich) nicht bei allen wussten, wer sie waren: Die deutsche Paparazzo-Meute prügelte sich um sie - Grund genug, auch abzudrücken: Aus Mallorca ohne Promi-Pics heim zu kommen, hätte keinen schlanken Fuß gemacht.

Auflauf der Ersatz-VIPs

Tatsächlich waren die Promis aber Stand-Ins und konnten über unser Ballermannversagen nicht hinwegtäuschen: Auf dem Journalistentrip zum Marathon hatten wir einen Blick in die Hölle geworfen. Aber niemanden getroffen, für den die Deutschen an den Ballermann reisen: Kein Jürgen Drews. Kein Wolfgang Petri. Kein Micki wie-auch-immer-der-jetzt-heißen-mag ... Nicht einmal aus dem Beisl der Frau Katzenberger hatten wir Bilder.

Selber schuld: Wir waren zu schwach. Obwohl der Ballermann Ende Oktober ohnehin im Schongang läuft. Doch uns war es zu viel. Obwohl jeder von uns die Tiefen niveaubefreiter Massenunterhaltung kennt. Von Skihütten. Zeltfesten. Oktoberfesten. Oder Massenmaturareisen.

Maturareise als Ethik-Kongress

Bei letzteren bin ich Experte. Ich habe schon einige Male intelligente und hoffnungsfrohe Jugendliche zu triebgesteuerten Einzellern mutieren gesehen, sobald der "Urlaub ihres Lebens" beginnt: Evolution auf "rewind". Ein Trip in faszinierende, erschreckende Tiefen.

Aber: Im Vergleich zum Saisonausklang des Ballermanns ist jede Massenmaturareise eine nach Zen-Meditationszeremoniell abgehaltene Konferenz über den Zusammenhang der Ethik in der Molekularbiologie mit der finnischen Lyrik des 19. Jahrhunderts. DJ Ötzi wirkt wie der Dalai Lama. Antonia aus Tirol ist Simone de Beauvoir, Bambie Bruckner Elfriede Jelinek.

Sport und Alkoholmissbrauch

Kurz: So etwas habe ich noch nicht erlebt. Habe ich je behauptet, eine Schwäche für Trash zu haben? Ich widerrufe. Und bereue. Der Ballerman schaffte es. Und mich: Ich floh.

Es begann harmlos: Die offizielle "After Race Party" in irgendeinem Großbierbunker. Wir ahnten nichts: Bierzelt halt. Was sollte da schon passieren? Diese Leute waren ja mit uns durch Palma gejoggt. Doch ach: Die schunkelnden, grölenden und einander ihre Medaillen (ok: fast nur für Kürzest- und Gehdistanz) ins Gesicht haltenden Gestalten bewiesen: Es gibt keinen Widerspruch zwischen Sport und massivem, lang antrainiertem Alkoholmissbrauch.

Zehn Songs und weg

Die Kapelle spielte Grauenhaftes grässlich - oder umgekehrt. Die Menschen tanzten dazu auf den Tischen. Die Kapelle machte Pause, der DJ übernahm - und spielte die gleichen Songs. "Joanna, du geile Sau" und "Nackte Frisösen". Dann wurde es schlichter: "Sie hat nur Schuhe an". Und noch schlichter: "Titten raus, denn es ist Sommer". Die Menschen tanzten auf den Tischen.

Dann kamen Gogos. Oder was hier als Gogo gilt: Riesenbrüste im Minidirndl - mit Upskirt-View-Garantie. Tanzen? Wer braucht das: ein Kopulationsbeckenwipp und dann den Rock gelüftet. Hände an die Möpse. Das Publikum - Männer wie Frauen - johlte. Und tanzte auf den Tischen. Die Kapelle kam zurück und spielte ihre zehn Lieder: "Heho, wir fahrn ins Puff nach Barcelona ...". Es roch nach Erbrochenem. Die Wandgemälde von vorgebeugten Kellnerinnen in Miniröckchen fielen uns erst auf, als wir flüchteten.

Zweiter Versuch, gleiches Ergebnis

Wir versuchten es anderswo. Ein Koberer ("Ich bin seit 20 Jahren hier und weiß, was allen gefällt") schleuste uns in eines der berühmten Lokale hinunter. Der Raum war niedrig. Es roch nach Erbrochenem. Vorne spielte man Grässliches grauenhaft: Die 10 Songs von gerade eben. Der Gitarrist: die Frankensteinversion eines Urahns von Boris Bukowski hoch Keith Richards. Die Sängerin: der Zombie der Ururgroßmutter von Joan Jett.

Das Publikum trug Bekennershirts ("Sauna & Kegeln", "Junggesellenabschied 2012", "Finde raus, ob meine echt sind" ...). Wäre der Raum höher, hätten die Menschen auf den Tischen getanzt. Die Band hatte fertig. Der DJ legte los: "Sie hat nur Schuhe an". Dann "Titten raus ...". Alle grölten mit.

Drink-Kombis und Frittierfett

Plakate: Zu einem Liter Longdrink gibt es ein Gratis-T-Shirt. Eine Mitreisende wollte es wissen und bestellte einen Liter Gin-Tonic. Das T-Shirt war klamm und roch getragen - und nach Erbrochenem. Neben der Garderobe: eine Filiale der omnipräsenten Würstelstandkette. Fett- und Frittiergeruch im Duell mit dem Odeur von Erbrochenem.

Dann wieder die Zombies on stage: "Sie hat nur Schuhe an". Aus. Ich gab auf. Wankte nach oben. Flehte um einen Atombombentest. Überirdisch. Jetzt und hier. Irgendjemand brachte mich in mein Hotelzimmer.

Chill-out im Backcountry

Unsere Reiseorganisatoren hatten uns genau beobachtet. Und lange vorher gewusst, dass man Journalisten nicht mit solchen letzten Eindrücken nach Hause fahren lassen darf: Am nächsten Tag karrten sie uns anderswohin. Weg vom Ballermann. Weit weg.

Per aspera ad astra, lachte meine Sitznachbarin, als wir eine der schönsten Mittelmeerküsten von überhaupt entlangfuhren. Wir strichen durch malerische Bergdörfer und träumten davon, hier Rad zu fahren. Oder zu wandern und zu klettern. Als wir am Abend dann in den Flieger nach Wien stiegen, war der Ballermann nur noch ein Nebel in der Ferne. Beinahe: Hinter mir summte einer im Halbschlaf. "Sie hat nur Schuhe an". Er riecht nach Erbrochenem. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 9.11.2012)