Dass auch die Leser "beim nächsten Beziehungsstreit eine renommierte Sex-Kolumnistin" dabei haben wollen, ist weniger wahrscheinlich.

Foto: kurier

Sollte es noch immer Menschen geben, die nicht wissen, dass man Meilensteine auch vollbringen kann, ist das seit Mittwoch nicht mehr zu entschuldigen. "Ein Meilenstein ist vollbracht: Ab heute gibt's nicht nur die Printausgabe im neuen Look, sondern auch den Online-Auftritt des 'Kurier'." So stellte eine Mitarbeiterin den "vollbrachten Meilenstein" in der Rubrik "Menschen" des Blattes vor: "Der "Kurier" in neuem Licht." Dass es sich dabei nicht um plötzliche Erleuchtung handelte, beschwor der Chefredakteur persönlich. "Es ist kein Zufall, dass wir gleichzeitig Print, Online und Mobil völlig neu gestaltet haben", und es gibt keinen Grund, ihm nicht zu glauben. Wer richtet sich schon sein Wohnzimmer nach dem Zufallsprinzip ein? Kühn verglich er die Vollbringung des "Meilensteins" mit einer Renovierung. "Ich vergleiche es mit einem Wohnzimmer. Keiner würde sein komplettes Wohnzimmer rausschmeißen und alles neu machen. Dann fühlt man sich ein wenig fremd." Und ein solches Gefühl sollte im "Kurier" gar nicht erst aufkommen. "Was wir gemacht haben: Das Wohnzimmer bleibt dasselbe, aber mit ein paar Neuerungen", stellte er den "Kurier" in neuem Licht" ein wenig unter den Scheffel.

Die innenarchitektonische Bescheidenheit schlägt sich ein wenig mit dem höheren Zweck der "paar Neuerungen im Wohnzimmer: Der "Kurier" soll in der Flut von immer mehr Medien und Verwirrung im Internet auch in Zukunft" - jetzt nicht als "Meilenstein", nein - "als Leuchtturm dienen, an dem man sich orientieren kann. In der Flut von immer mehr Medien und Verwirrung im Internet" hat man sich neben dem papierenen Relaunch auch der menschlichen Ressourcen be- und den redaktionellen Mitarbeiter als Zwitterwesen aus Journalist und Leihcoach ersonnen. Angeboten wird den Lesern ab sofort der "Redakteur to go: Nimm deinen Lieblingsredakteur mit, wohin du willst zum Diskutieren, Aufdecken oder Aufzeigen, was dir wichtig ist! Willst du bei deiner nächsten Diskussion mit Freunden einen Experten dabei haben, beim Theaterabend deiner Kinder einen professionellen Kritiker oder beim nächsten Beziehungsstreit eine renommierte Sex-Kolumnistin? Dann mach mit."

Ob die Lieferung des "Redakteurs to go" an den potenziellen Leser, der "in der Flut von immer mehr Medien und Verwirrung im Internet" Orientierung sucht, real in der gleichen Form geliefert wird wie auf der Homepage, blieb dort offen. Dort wird von ihm nur der Kopf geliefert, ausgepackt aus einem Sackerl mit der Aufschrift "Kurier". Beim "Theaterabend deiner Kinder" könnte das zu einer "Flut von Verwirrung" führen. Weniger bei Damen, deren Masseurin sich, wie auf der Homepage filmisch ausgeführt, der Klage über eine "komplizierte Beziehung" erinnert und als Remedium ein oben beschriebenes Sackerl mit der Aufschrift "Kurier" vom Regal ans Bett holt, als wär's die übliche Requisite eines Massagesalons, um den Kopf der "renommierten Sex-Kolumnistin Gabriele Kuhn" auszupacken. Auf die Mahnung des Kopfes "Jetzt erzählen S' mir einmal alles von Anfang an" reagiert die von ihrer Massage Aufgestörte wie seinerzeit das Publikum an der Guillotine - erst leicht verschreckt, dann begeistert. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass der "Kurier" in neuem Licht im täglichen Leben seiner Leserinnen die Funktion "des Leuchtturms" tadellos erfüllen wird. Dass auch die Leser "beim nächsten Beziehungsstreit eine renommierte Sex-Kolumnistin" dabei haben wollen, ist weniger wahrscheinlich.

Welchen Niederschlag die Funktion eines "Redakteurs to go" im neu auszuhandelnden Kollektivvertrag für Journalisten finden wird, ist noch offen. Die Verhandlungspartner könnten sich womöglich an der Entlohnung von Leuchtturmwärtern orientieren, aber mit Sackerlzulage.

Schade, dass es noch keinen "'Österreich'"-Redakteur to go" gibt, mitzunehmen, "wohin du willst, etwa zum Aufdecken", was nun wirklich mit den Kastelruther Spatzen los ist. "Es ist der größte Millionen-Schlager-Schwindel aller Zeiten", trommelte das Blatt Mittwoch unter dem Titel "Der größte Schunkel-Skandal - 15 Mio. verkaufte CDs, keinen Ton selbst gespielt. Ihr eigener Produzent hat die Spatzen verpfiffen", und: "Spatzen gestehen alles", wollen aber nur getan haben, was "international üblich. Jetzt ist Schlager-Krieg", jubelte "Österreich" am Donnerstag, denn die "Spatzen schießen zurück". Beim Verpfeifer soll es sich um einen "Spatzen-Judas ohne Verstand und Anstand" handeln. Die Fans brauchen einen "Redakteur to go". (Günter Traxler, DER STANDARD, 10./11.12.2012)