Wien - Kollidieren am Teilchenbeschleuniger LHC des Kernforschungslaboratoriums CERN schwere Atomkerne miteinander, dann entstehen dabei die kürzesten Lichtblitze der Welt. Das ergeben jedenfalls Computersimulationen, die Wissenschafter an der Technischen Universität (TU) Wien durchgeführt haben. Messen konnte man die nur einige Yoktosekunden (0,000000000000000000000001 bzw. 10-24 Sekunden) langen Blitze bisher aber nicht, eine Technik, die derart unvorstellbar kurze Zeiträume erfasst, gibt es nicht - zumindest noch nicht. Die Forscher TU Wien haben nun nämlich eine Methode vorgeschlagen, wie mit einem ohnedies am CERN geplanten Gerät so kurze Lichtblitze vermessen und damit auch nutzbar gemacht werden können.

Ultrakurze Lichtpulse werden verwendet, um physikalische Vorgänge zu untersuchen, die auf extrem kurzen Zeitskalen ablaufen. Mit Lasern werden heute Pulse in der Größenordnung von Attosekunden erreicht - Milliardstel einer Milliardstelsekunde (10-18 Sekunden). Bei Kollisionen von Blei-Atomkernen am LHC "können aber Lichtpulse erzeugt werden, die noch einmal millionenfach kürzer sind", erklärte Andreas Ipp vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien.

Quark-Gluon-Plasma für nur wenige Sekundenbruchteile

Durch die Wucht des Aufpralls entsteht ein sogenanntes Quark-Gluon-Plasma - ein Materiezustand, der so heiß ist, dass selbst Protonen und Neutronen aufgeschmolzen werden. Sekundenbruchteile nach dem Urknall bestand das Universum aus diesem Quark-Gluon-Plasma, die elementaren Bestandteile der Materie - Quarks und Gluonen - bewegen sich dabei wirr durcheinander.

Bei der Kollision im Teilchenbeschleuniger existiert dieses Quark-Gluon-Plasma nur für die unvorstellbar kurze Zeitspanne von einigen Yoktosekunden. Solche Zeitskalen sind mit menschlichen Maßstäben kaum zu beschreiben: Das ist etwa die Zeit, die das Licht benötigt, um einen Atomkern zu durchqueren. Oder anders gesagt: Eine Yoktosekunde verhält sich zu einer Tausendstelsekunde etwa so wie eine Tausendstelsekunde zum Alter des Universums.

Hanbury Brown-Twiss-Effekt

Während dieser extrem kurzen Zeit entstehen in dem Quark-Gluon-Plasma auch Photonen, erklärt Ipp. Doch herkömmliche Messmethoden sind viel zu langsam, um diese extrem kurzen Lichtblitze aufzulösen. Ipp und sein Kollege Peter Somkuti schlagen nun vor, einen Effekt (Hanbury Brown-Twiss-Effekt) zu nutzen, der eigentlich für astronomische Beobachtungen entwickelt wurde. Dabei werden die Daten von zwei verschiedenen Licht-Detektoren miteinander verknüpft, um etwa den Durchmesser eines Sterns genau zu berechnen. "Diesen Effekt kann man auch dazu nutzen, um zeitliche Abstände zu vermessen", sagte Ipp.

Experimentell wäre das zwar recht aufwändig, aber dennoch machbar. Vor allem würde man keine teuren zusätzlichen Detektoren benötigen, wie die Forscher in der Fachzeitschrift "Physical Review Letters" schreiben. Die Messungen könnten mit dem geplanten Gerät "Forward Calorimeter" durchgeführt werden, das 2018 am ALICE-Experiment des CERN in Betrieb gehen soll. Das Experiment wäre damit die schnellste, also hochauflösendste Stoppuhr der Welt. 

Rätselhaftes Quark-Gluon-Plasma

Die Physik des Quark-Gluon-Plasmas ist nach wie vor voller ungelöster Rätsel: Es hat eine extrem niedrige Viskosität - ist also dünnflüssiger als alle Flüssigkeiten, die wir kennen. Außerdem strebt es extrem schnell in ein thermisches Gleichgewicht, auch wenn es anfangs in einem Zustand extremen Ungleichgewichts war. Die Vermessung der Lichtpulse aus dem Quark-Gluon-Plasma könnte wichtige neue Daten liefern, um diesen Materiezustand besser zu verstehen.

In Zukunft könnten die Lichtblitze auch verwendet werden, um Fragestellungen aus der Kernphysik zu untersuchen. "Experimente mit zwei Lichtpulsen hintereinander sind in der Quantenphysik sehr verbreitet", sagt Ipp. "Der erste Lichtblitz ändert den Zustand des untersuchten Objektes, der zweite wird kurz darauf verwendet, um diese Veränderung zu messen." Mit Yoktosekunden-Lichtpulsen könnte man diese wohlerprobte Technik in Bereichen einsetzen, die der Forschung bisher noch völlig unzugänglich waren. (APA/red, derstandard.at, 12.11.2012)