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Präsident Wladimir Putin (re.) mit seinem Stabschef Sergej Iwanow, der als einer der Drahtzieher des Wechsels im Verteidigungsressort gilt.

Foto: AP/Nikolsky

Moskau/Wien - Offiziell hat Moskau die Wiederwahl von US-Präsident Barack Obama begrüßt. Treibt Obama seine Pläne für ein "schlankeres" Militär weiter voran und sucht er im Streit mit Russland um den Raketenschild in Europa eine konstruktive Lösung, dann bekommen die geopolitischen Falken im Kreml ein Problem. Auch vor diesem Hintergrund ist der Führungswechsel im russischen Verteidungsministerium zu sehen, der mit der Ernennung von Gennadi Gerassimow (57) zum neuen Generalstabschef und stellvertretenden Ressortchef vorerst komplettiert wurde. Offensichtlich sollen noch schnell Fakten geschaffen werden.

Gerassimow, ein Veteran des Tschetschenienkriegs, war der Wunschkandidat des neuen Verteidigungsministers Sergej Schoigu, der den von Putin gefeuerten Anatoli Serdjukow ablöst. Der Zivilist Serdjukow, bekannt als effizienter Verwalter, hatte im Zuge der Militärreform von der russischen Waffenindustrie moderneres, den veränderten Bedrohungsbildern besser entsprechendes Kriegsgerät gefordert.

Damit, aber auch mit dem Kauf von Hubschrauberträgern beim Natoland Frankreich und dem angekündigten Erwerb neuer Waffentechnologien aus dem Ausland zog sich Serdjukow die Feindschaft der russischen Rüstungsindustrie (mehr als 300 Staatsfirmen) und ihrer Verbündeten im Generalstab zu.

Der militärisch-industrielle Komplex schlug zurück. Serdjukow fiel offensichtlich einer Intrige zum Opfer. Als einen der Hauptdrahtzieher nennen Insider Kreml-Stabschef Sergej Iwanow. Dieser scheiterte pikanterweise als Verteidigungsminister 2001- 2007 selbst an der Armeereform.

Bei der Ernennung Gerassimows bestätigte Putin indirekt den Hauptgrund für Serdjukows Sturz: Er rief Schoigu und den neuen Generalstabschef dazu auf, die Beziehungen zu den staatlichen Rüstungsbetrieben zu verbessern. Deren Mitarbeiter zählen mit ihren Angehörigen übrigens zu den treuesten Putin-Wählern.

Das gigantische Rüstungsprogramm im Umfang von mehreren hundert Milliarden Euro, das Putin vor seiner dritten Amtsperiode als Präsident ankündigte, umfasst auch 2300 Panzer der Typen T-72 und T-90. Die aber würden in einer modernen Armee nicht gebraucht, sagte der jetzt abgelöste Generalstabschef und Serdjukow-Vertraute Nikolai Makarow 2011.

US-Präsident Dwight D. Eisenhower, selbst ehemaliger Generalstabschef und im Zweiten Weltkrieg Oberbefehlshaber der Alliierten in Europa, sagte in seiner Abschiedsrede 1961: "Wir in den Regierungsräten müssen uns vor unbefugtem Einfluss (...) durch den militärisch-industriellen Komplex schützen. Das Potenzial für die katastrophale Zunahme fehlgeleiteter Kräfte ist vorhanden und wird weiterhin bestehen." Das war auf die US-Rüstungsindustrie im Kalten Krieg gemünzt. Die jüngsten Ereignisse in Moskau bestätigen die unveränderte Aktualität dieser Warnung. (Josef Kirchengast /DER STANDARD, 13.11.2012)