Die Wirtschaftskrise und die damit einhergehende Vernichtung von Vermögen stellen auch die Rechtspflege auf eine harte Bewährungsprobe. Am Handelsgericht Wien (HG Wien) sind derzeit knapp 11.000 Fälle anhängig - davon rund 7000 in Sammelklagen -, in denen enttäuschte Anleger gegen Vermögensberater, Banken und andere Finanzdienstleister Ansprüche auf Schadenersatz geltend machen. Sie seien unzureichend oder falsch beraten, insbesondere über die Sicherheit der Veranlagung getäuscht worden, lautet der zentrale Vorwurf.

Die größte Gruppe von Geschädigten - rund 2500 Kleinanleger, die ihr Geld in die Immofinanz bzw. Immoeast AG investiert hatten, die meisten ohne überhaupt zu erkennen, dass sie dabei Aktien zeichnen - werden vom Verein für Konsumenteninformation (VKI) in fünf Sammelklagen gegen den Anlageberater AWD vertreten.

Ernüchternde Bilanz

Zwar wurden von HG Wien einzelne Sammelklagen anderer Kläger mittlerweile bereits durch Urteil oder Vergleich beendet - die bisherige Bilanz der VKI-Klagen ist allerdings ernüchternd. Mangels einer gesetzlichen Regelung über die Voraussetzungen von Sammelklagen wurde zunächst über ein Jahr lang über deren Zulässigkeit prozessiert. Nun sind zwar alle Klagen zugelassen, dafür prüft das Gericht jetzt den Einwand des beklagten Anlageberaters, die Finanzierung der Verfahren - diese übernahm ein gewerblicher Prozessfinanzierer gegen Erfolgsquote - wäre sittenwidrig. Zwei Instanzen haben diesen Einwand bisher verworfen. Die Frage ist derzeit beim Obersten Gerichtshof (OGH) anhängig. In keinem einzigen der fünf VKI-Verfahren - sie sind seit über drei Jahren bei Gericht - hat bisher auch nur eine einzige Zeugeneinvernahme in der Sache selbst stattgefunden.

Sammelklägern bzw. den von ihnen vertretenen Anlegern droht indes weiteres Ungemach. Falls das Gericht von der im Gesetz zwar fakultativ, jedoch nicht zwingend vorgesehenen Möglichkeit von Teilurteilen (§ 391 Zivilprozessordnung - ZPO) keinen Gebrauch machte, sondern alle oder einen Großteil der Fälle in einem einzigen Urteil abhandelte, käme auf die Anwälte eine schier unlösbare Aufgabe zu: Der Verlierer müsste binnen der gesetzlichen, nach derzeitiger Rechtslage nicht verlängerbaren Frist von vier Wochen eine Berufung gegen ein wahrscheinlich mehrere hundert Seiten langes Urteil ausarbeiten.

Auch die Gegenseite hätte es nicht viel leichter: Sie müsste binnen weiterer vier Wochen die Berufungsbeantwortung einbringen.

De facto unbewältigbar kurze Fristen beeinträchtigen den für eine rechtsstaatliche Demokratie unverzichtbaren Zugang zum Recht. In Strafsachen hat man dies bereits erkannt. Aufgrund eines Urteils des Verfassungsgerichtshofes (G 151/99-13, G 166/99-12 und G 168/99-12) hat der Gesetzgeber bei der ursprünglich ebenfalls nur vierwöchigen Frist für die Nichtigkeitsbeschwerde in extrem umfangreichen Verfahren auf Antrag eine Verlängerungsmöglichkeit vorgesehen (§ 285 Strafprozessordnung). Ähnliches tut auch in komplexen Zivilprozessen not.

Eine weitere Gefahr droht auf der Kostenseite. Das Gesetz sieht für Verfahren, in denen mehrere Ansprüche gebündelt sind, die Möglichkeit vor, dass über die einzelnen Ansprüche getrennt verhandelt werde (§ 188 ZPO). Diese sinnvolle Regelung soll nicht nur die Erlassung von Teilurteilen erleichtern - sie bewirkt auch, dass die Rechtsanwaltsgebühren für jede Verhandlung nur auf Basis des jeweiligen Teil-Streitwerts anfallen (§ 12 Rechtsanwaltstarifgesetz). Wenn das Gericht von dieser Möglichkeit allerdings keinen Gebrauch macht, dann kann sich der ursprüngliche Kostenvorteil - eine Sammelklage verursacht bei der Einbringung nur einen Bruchteil der Gesamtkosten, die bei Einzelklagen anfallen würden - leicht ins Gegenteil verkehren.

Behelfslösung

Die österreichische Sammelklage wird oft kritisch gesehen. Sie ist in der Tat eine Behelfslösung, allerdings - solange der Gesetzgeber nicht für ein taugliches Instrument des kollektiven Rechtsschutzes sorgt - eine unverzichtbare. Inhabern massenhafter, meist kleinerer und mittlerer Ansprüche, ist es nämlich angesichts der mit Zivilprozessen einhergehenden Kosten, insbesondere der in Österreich überdurchschnittlich hohen Gerichtsgebühren, ohne Sammelklage und Prozessfinanzierung in der Praxis oft gar nicht möglich, ihre Ansprüche gerichtlich geltend zu machen. Und wer nicht rechtzeitig klagt, dem droht die Verjährung seiner Forderung.

Würde die Sammelklage durch unbewältigbar kurze Berufungsfristen oder nachträglich explodierende Kosten unattraktiv, so erwiese man damit der Gesellschaft jedoch keinen guten Dienst. Wird der Zugang zum Gericht erschwert, bleibt nicht nur das materielle Recht auf der Strecke. Beschädigt wird dabei auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz, was deren wichtigste Aufgabe betrifft: durch eine angemessen rasche, richtige und erschwingliche Lösung von Streitigkeiten den sozialen Frieden zu erhalten.

Die Einführung einer modernen Gruppenklage ist seit Jahren politisch blockiert. Der Gesetzgeber ist jedoch gefordert, endlich für eine taugliche, für Gerichte und Anwaltschaft gleichermaßen handhabbare Lösung von Massenverfahren zu sorgen. (Alexander Klauser, DER STANDARD, 14.11.2012)