Vor fünf Jahren entdeckten Archäologen im Dordogne-Tal in Südfrankreich einen Felsen mit Ritzzeichnungen, die sich später als die mit 37.000 Jahren mutmaßlich ältesten künstlerischen Arbeiten der Menschheit entpuppten. Eines der eingeritzten Ornamente gab ein ovales Symbol wieder. Kein Zweifel, so die beteiligten Forscher, es muss sich um die Darstellung eines weiblichen Geschlechtsorganes handeln. Die Medien - und wir nehmen uns da keineswegs aus - griffen die Interpretation nur allzu gerne auf und der Bericht von der Steinzeit-Pornografie machte im Boulevard wie in seriösen Blättern gleichermaßen die Runde. Es ist nicht der einzige prähistorische Fund, der in diese Richtung gedeutet wird. Besonders die zahlreichen "Venus"-Figuren - die von Willendorf ebenso wie jene vom Hohlefels - werden mit ihren übertrieben dargestellten anatomischen Merkmalen gern als früheste Vorläufer unseres heutigen "Playboy" genannt.

Alles Unsinn, ist die kanadische Archäologin April Nowell von der University of Victoria überzeugt. Im Interview mit dem "New Scientist" sieht sie in der Idee, dass kurvenreiche Figurinen prähistorische Pornografie sei, einen Vorwand dafür, modernes Verhalten mit vorzeitlichen Wurzeln zu legitimieren. Die Wahrheit sei, dass neben den immer wieder ins Rampenlicht gezerrten Venus-Bildnissen eine unglaubliche Vielfalt an menschlichen Darstellungen existiere. Für all diese Kunstwerke gäbe es zahlreiche mögliche Interpretationsmöglichkeiten, sie allein als Urmütter oder Steinzeit-Pin-ups zu sehen, sei wohl zu kurz gegriffen. Um einen tatsächlichen Eindruck von der Lebenswelt der Menschen vor über 30.000 Jahren zu erhalten, müsse man das eiszeitliche kreative Schaffen als Ganzes beurteilen.

--> New Scientist: "'Palaeo-porn': we've got it all wrong"

(red, derstandard.at, 19.11.2012)