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Ihr Roman "Chuzpe" als Theaterstück: Die New Yorker Schriftstellerin Lily Brett, Tochter von Holocaust-Überlebenden, kommt zur Premiere nach Wien

Foto: APA/Guenter R. Artinger

STANDARD: In "Chuzpe" erzählen Sie die sehr amüsante Geschichte eines unternehmerischen, jüdischen Holocaust-Überlebenden. Edek, der Protagonist, nimmt auch im hohen Alter sein Leben selbst in die Hand und treibt damit seine Tochter oft zur Verzweiflung. Wie viel von Chuzpe ist Fiktion?

Lily Brett: Teile von Edek sind Teile meines Vaters. Er hat einen wundervollen Sinn für Humor, den ich wohl von ihm geerbt habe, und er ist unheimlich großzügig. Und obwohl er den schlimmsten Horror überlebt hat, verbreitet er Liebe, Freude und Heiterkeit. Wenn er lachte, gab er mir als Kind das Gefühl, die Welt sei vollkommen.

STANDARD: Sie kommen zur Uraufführung von "Chuzpe" nach Wien: Mit welchen Gefühlen?

Brett: Ich bin wirklich sehr aufgeregt. Ich habe den Text der Bühnenfassung gelesen und einen kleinen Filmmitschnitt einer Probensituation gesehen. Vor allem Otto Schenk ist wundervoll. Er ist meine Traumbesetzung von Edek. Ich kann es kaum erwarten, ihn auf der Bühne zu sehen!

STANDARD: Hegen Sie als Kind von Holocaust-Überlebenden Vorbehalte gegenüber Deutschland und Österreich?

Brett: Deutschland hat besondere Anstrengungen unternommen, um die Menschen mit ihrer Vergangenheit zu konfrontieren und sie zum Umdenken zu bewegen. Wenige Länder sind diesem Beispiel gefolgt. Hass ist kein Bestandteil der jüdischen Seele. Bei diesem schwierigen Thema der nicht verzeihbaren Schuld handelt es sich auch um eine Generationenfrage. Natürlich macht es Angst, wenn in Europa Neonazibewegungen im Aufwind sind und ihnen von Rechts-außen-Regierungen kein Riegel vorgeschoben wird. Ich persönlich fühle mich in Deutschland und Österreich sehr zu Hause, denn ich habe erkannt, dass die Kinder der Opfer und die Kinder der Täter unter einem Leidensdruck aufwuchsen, der Parallelen aufweist.

STANDARD: Sie berichten aus eigener Erfahrung, dass die zweite Generation den Holocaust zwar nicht erlebt, aber im Form eines Traumas quasi mit der Muttermilch aufgesogen habe. Wie können diese Menschen ihre seelische Qual überwinden?

Brett: Jedes Kind hat im Zuge des Erwachsenwerdens bestimmende Thematiken, mit dem es zurechtkommen muss. Ich war ein sehr ernstes Kind und wusste, fast intuitiv, dass meinen Eltern fürchterliche Sachen widerfahren waren. Meine Mutter verlor alles, was ein Mensch verlieren kann, außer ihrem Leben: ihr Land, ihre Familie, ihre Erziehung, ihre Jugend und ihre Kultur. Trotzdem behielt sie ihre Fähigkeit zu lachen - und das, denke ich, ist schon sehr außergewöhnlich. Meine Eltern hassten, obwohl beide in Auschwitz waren, niemanden. Der einzige Zorn galt Gott. Das familiäre Leid hat mich sicher zu einer überlegteren und sensibleren Persönlichkeit gemacht. Vor dem Krieg war die Ursprungsfamilie meines Vaters in Polen sehr wohlhabend, und so wäre aus mir wahrscheinlich eine völlig abgestumpfte, verwöhnte polnische Prinzessin geworden.

STANDARD: Hätten Sie das nicht gern in Kauf genommen?

Brett: Nein, im Ernst, Mitgefühl und Toleranz müssen erlernt werden. Es ist der Mangel an Empathie, der zur größten gesellschaftlichen Gefahr wird. Kinder von Holocaust-Überlebenden haben dafür ein besonderes Gespür. Die Erfahrungen der Eltern sind Teil ihres Seins. Viele engagieren sich auch, um gegen das jetzige Leid aufzutreten.

STANDARD: Ist das Leid, das den Menschen von den Nazis zugefügt wurde, überhaupt mit anderem Leid vergleichbar?

Brett: Natürlich! Für mich ist jedes Menschleid gleich tragisch. Es unterscheiden sich die Koordinaten, aber Leid ist Leid. Ich will da keine Kategorien schaffen. Es macht mich einfach traurig, zu sehen, was heute auf der Welt passiert und wie die Schere zwischen Arm und Reich auseinanderklafft. (Sabina Zwitter, DER STANDARD, 17./18.11.2012)