Zu Recht?

 

Kommenden Montag findet im Parlament in Budapest die Endabstimmung über die schon im Vorfeld heftig umstrittene Neuregelung des ungarischen Wahlrechts statt. Hier eine Auswahl der wichtigsten geplanten Änderungen mit Blick über den Tellerrand:

Ab 2014 wird die Größe des ungarischen Parlaments beinahe halbiert: Mit der Reduktion von 386 Sitzen auf 199 Abgeordnete, von denen die Hälfte mittels Verhältniswahlrecht ermittelt werden, ist das durchaus mit der hiesigen Lage vergleichbar. Die restlichen Abgeordneten setzen sich aus Kandidaten zusammen, die in ihren Einzelwahlkreisen mehr Stimmen bekommen haben, als ihre Mitbewerber.

Stimmenstärkste profitieren

Durch dieses Wahlrechtssystem, das eine frappante Ähnlichkeit mit den Wahlrechtsforderungen der überparteilichen Plattform "MeinOE" hat, wird in Ungarn bereits seit 20 Jahren sichergestellt, dass auch kleine Parteien den Sprung ins Parlament schaffen und dass Sammelparteien überproportional gut abschneiden, um dadurch stabile Regierungsmehrheiten zu erzielen.

Die Neuerungen bei der Ermittlung der Mandate aus der Verhältniswahl bewirken eine Stärkung jener Partei, welche die meisten Einzelwahlkreise erringen kann. Davon profitiert nicht zwangsläufig das konservative Lager, sondern stets die stimmenstärkste Partei.

Auf Grundlage der neuen Regelung wird das Parlament mit Zweidrittelmehrheit für neun Jahre die Mitglieder der Wahlaufsichtsbehörde wählen, was einen Missbrauch der verfassungsgebenden Macht (der konservativen Abgeordneten) zulasten der Opposition bedeuten könnte. Diese Gefahr bestand aber auch schon in früheren Legislaturperioden: Bislang haben nämlich immer die abdankenden Parlamentarier kurz vor der Wahl diese Mitglieder mit einfacher Mehrheit bestimmt und so für Gremien gesorgt, die ihnen wohlgesonnen waren.

Ab dem Ende der ersten Amtszeit der neuen Wahlaufsicht werden die Politiker aber mangels Zweidrittelmehrheit gezwungen sein, diese Behörde tatsächlich unabhängig zu machen. Aus österreichischer Sicht ist gegen diese Neuregelung schwer zu argumentieren. Hierzulande beträgt etwa die Periode des Rechnungshofpräsidenten sogar zwölf Jahre und die Bundeswahlbehörde ist stets in der Hand der amtierenden Regierung.

Wie immer wird auch 2014 die Wahlaufsichtsbehörde genauso unparteiisch oder eben parteiisch die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften überwachen, die im Übrigen europäischen Standards gerecht werden.

Absehbarer Betrugsvorwurf

Ebenso geändert wird die Aufteilung der bisherigen Wahlkreise, die wegen der krassen Binnenmigration der letzten zwanzig Jahre vom Verfassungsgericht aufgehoben wurde. Das konservative Lager verfügt dann de facto über mehr Fixmandate als bisher. Gleichzeitig werden aber auch mehr eindeutig linksliberale Wahlkreise geschaffen. Die Regierung wird ihre aktuelle Stärke bei den nächsten Wahlen schon deswegen einbüßen - ab 2014 wird sie über keine Zweidrittelmehrheit mehr verfügen.

Besonders kritisch wird die Registrierungspflicht für Wahlberechtigte gesehen, die bis zu zwei Wochen vor der Wahl möglich sei und dann auch für die nächsten drei Wahlen gelte. Diese Neuerung schaffe eine einheitliche Handhabe für Bürger, die in Wahllokalen, im Ausland oder per Briefwahl wählen möchten. So könnten auch genauere Wählerverzeichnisse entstehen, für die allerdings aufgrund der vorliegenden einwandfreien Evidenzen wenig Notwendigkeit zu erkennen ist. Wenig überzeugend ist aber auch so manche Argumentation aus dem linksliberalen Lager, die Registrierungspflicht würde den Konservativen in die Hände spielen. Das impliziert nämlich, dass Regierungsgegner zu dieser Verwaltungshandlung intellektuell weniger fähig seien als jene bildungsfernen Wähler, die den Konservativen entscheidend zum Wahlsieg verholfen haben.

Außerdem bleiben viele linksliberale Wortführer die Antwort auf die Frage schuldig, warum es - im Sinne von Aristoteles‘ Politikverständnis - von Bürgern zu viel verlangt sei, auch vor dem Wahltag daran zu denken, ob sie einem Kandidaten ihre Stimme geben wollen. Am Wahltag ortsabwesende Österreicher müssen sich ja ebenfalls registrieren, um eine Wahlkarte zu bekommen. Diese Kritiker werden auch kaum behaupten können, dass es in Großbritannien wegen seinem Registrierungssystem weniger Demokratie als hierzulande gibt. Immerhin bewirken die dargestellten, einer angelsächsischen Geisteshaltung folgenden Änderungen, dass die Bürger durch die Registrierungspflicht zu mehr Wahlverantwortung angehalten werden und dass Großparteien überproportional viele Mandate erhalten werden.

Schon jetzt ist absehbar, dass 2014 die Oppositionsparteien bei einem Wahlsieg des regierenden konservativen Lagers Wahlbetrug behaupten werden. Ein Vorwurf, der in Ungarn regelmäßig von Wahlverlierern erhoben wird, aber aufgrund des bereits sensibilisierten Auslands gegenüber der amtierenden Regierung besonders viel Gehör finden wird. Die Registrierungspflicht ist daher als defensive Maßnahme der Regierung geeignet, wesentliche Manipulationsvorwürfe der Wahl von vornherein zu zerstreuen.

Die Plausibilität dieser Überlegung beweist ein Blick nach Rumänien. Das Land hätte sich im August dieses Jahres dadurch den zweiten Teil seiner Verfassungskrise "ersparen" können. So musste aber die Vollständigkeit der Wählerevidenz geprüft werden, um festzustellen, wie hoch die Beteiligungsquote bei der Abstimmung über Präsident Traian Basescu tatsächlich war.

Den oppositionellen Regierungskritikern, die das Ende der Demokratie in Ungarn vorhersagen, sei zusammenfassend gesagt, dass es weiterhin unter fairen Bedingungen möglich sein wird, die Regierung abzuwählen: Ihre linksliberalen Parteien müssen nur mehr Stimmen erzielen, als das konservative Lager. Hic Rhodus, hic salta! (DER STANDARD, 17.11.2012)