"Ich finde, dass wir uns den Puritanismus
ersparen können. Wir haben im deutschen Sprachraum einen Meister Eckhart gehabt,
wir wissen vom "göttlichen Funken", das Genie Beethoven ist ohne metaphysische Realität nicht zu erklären. Unsere Aufgabe ist es, den göttlichen Funken entweder wach zu halten oder ihn anzuzünden. Daraus ergibt sich das Spannungsfeld zwischen der Realität und der metaphysischen Welt, zwischen dem Utilitarismus und der Architektur, wie ich sie sehe."
Ernst A. Plischke in einer Vorlesung
am 25.10.1965


Der Tag war alt, der Abend heiß, als vergangene Woche allerlei gekämmtes und geschneuztes Volk der Kunsthalle Essl in Klosterneuburg zuzuströmen begann. Alsbald surrte es in allen Gängen, das Summen wies in eine Richtung und konzentrierte sich oben im Café und in der daneben gelegenen Ausstellungshalle.

Einige Kunsttouristen, die den Genuss der aktuellen Schau dort gerade bei Kuchen und Spritzern verdauten, wurden von den Massen aufgeschreckt. Sie konnten mit Erstaunen beobachten, wie sich weißbärtige Männer den Weg durch die sich vergrößernde Menschenmenge bahnten, aufeinander zuliefen und in die Arme fielen. Andere standen einander sinnend gegenüber und versuchten kichernd die Namen des jeweiligen Gegenübers aus der Erinnerung hervorzukramen. Über drei Jahrzehnte lagen zwischen ihnen, aber die waren rasch weggewischt.

Auch viele Frauen waren dabei, in schönen künstlerischen Gewändern und mit seligen Lächeln in den Gesichtern. Kurzum, die Angelegenheit war von Fröhlichkeit durchdrungen und hatte etwas ausgelassen Schulausflughaftes, irgendetwas, das mit Alter, Zeit, Generation kaum etwas zu tun hat, obwohl die Bärte, wie gesagt, grau, die Häupter meist kahl waren.

Tatsächlich war hier ein Klassentreffen der besonderen Art im Gange, und der, dem es galt, tauchte plötzlich wie ein Geist aus der Vergangenheit auf, sein Bild flackerte übermenschengroß über eine Leinwand und verschwand gleich wieder. "Soundcheck", murmelte der Techniker. "Da ist er ja!" riefen die Anwesenden.

Ernst Anton Plischke - Architekt, Emigrant, Lehrer - hätte an diesem heißen 26. Juni seinen hundertsten Geburtstag begangen, hier in Klosterneuburg war er 1903 zur Welt gekommen, 1992 war er in Wien gestorben. Dieses Treffen mit anschließendem Symposium hatten seine Schüler organisiert: Jene Ex-Studenten, Ex-Assistenten und heutigen Architekten in der Schweiz, in Israel, der Türkei und auch Österreich, denen er in den Jahren von 1963 bis 1973 an der Wiener Akademie der bildenden Künste als "Meister" beigebracht hatte, dass Architektur mehr als Form ist, und dass ihr Inhalt durchaus von jenem "göttlichen Funken" erhellt zu sein habe, der sich an der Reibung zwischen Metaphysischem und Utilitaristischem entzünde.

Gerne hatte der Prinzipientreue und dabei doch gelegentlich das Mystische Predigende im Hörsaal die 700 Jahre alten Worte des Meister Eckhart zur Manifestierung seiner Thesen zu Hilfe genommen: "Nicht als ob man seinem Innern entfliehen oder entfallen oder untreu werden sollte, sondern gerade in ihm und mit ihm und aus ihm soll man wirken lernen..."

Doch was innen und was außen ist, ist nicht nur eine Frage der Architektur, sondern auch der Lehre, und so streuen wir eigenmächtig an dieser Stelle ebenfalls ein Eckhart-Zitat ein: "Wenn ein Meister ein Bild macht aus Holz oder Stein, so trägt er das Bild nicht in das Holz hinein, sondern er schnitzt die Späne ab, die das Bild verborgen und verdeckt hatten; er gibt dem Holz nichts, sondern er benimmt und gräbt ihm die Decke ab und nimmt den Rost weg, und dann erglänzt, was darunter verborgen lag. Dies ist der Schatz, der verborgen lag im Acker, wie unser Herr im Evangelium spricht."

Als Friedrich Kurrent, ehemals Plischkes Assistent, das Podium betrat, verstummte dieser vom Meister gehobene Architektenschatz, oder, wie Kurrent meinte, "die hier versammelten, heute in der Blüte ihres Schaffens stehenden Architekten". Das Bauliche sei nach Plischkes Rückkehr aus der Neuseeländischen Emigration zu kurz gekommen, das ihm gebührende Alterswerk sei ihm versagt geblieben, und so sei sein eigentliches Vermächtnis die Schule, die er durch seine Lehrtätigkeit gegründet habe. Hermann Czech, Luigi Blau, Alessandro Alverá, Eberhard Kneissl, Georg Friedler, Dietmar Steiner, Elsa Prochazka sind nur ein paar, die daraus hervorgegangen sind.

Plischke war bereits in Jugendjahren ein außergewöhnlich erfolgreicher Architekt gewesen. Einige seiner Bauten zählen zum Besten, was hierzulande entstanden ist, das Arbeitsamt Liesing etwa oder das Haus Gamerith am Attersee. Beide Gebäude hatte er errichtet, bevor er dreißig Jahre alt war. Nationalsozialismus und Krieg wehten ihn nach Neuseeland, die dort entstandenen Plischke-Architekturen sind bei uns kaum bekannt. Das offizielle Österreich wusste den Architekten nach seiner Rückkehr nicht zu würdigen, Aufträge blieben aus.

Seine Häuser aus der Vorkriegszeit wurden jedoch, wie man so sagt, zu Ikonen der Moderne. Walter Stelzhammer spürte schon als im Attersee badender Bub "das Außergewöhnliche" in Plischkes Sommerhaus für die Familie Gamerith und begab sich 1970 nach Wien, um beim "Meister" zu studieren. An diesem Abend, dreiunddreißig Jahre später, bestieg auch er das Podium und präsentierte der "Plischke-Gemeinde" die Idee eines dreijährig zu vergebenden Preises: "Als Anreiz aus der Plischke-Ecke für die ins Beliebige abgleitende Architekturszene." Nicht Personen, sondern Häuser sollten damit ausgezeichnet werden, denn auch für Plischke habe stets nur das Resultat gezählt.

Schließlich füllte zum Abschluss der Veranstaltung posthum der alte Mann selbst den Raum. Drei Jahre vor seinem Tod von Gregor Eichinger und Christian Knechtl gefilmt betrat er die Leinwand und geißelte sofort seine Zunft: "Als ich jung war, war die Sachlichkeit die Mode. Das war der Tod der Architektur, weil man damit viele andere Qualitäten ausgelassen hat." Mit umgekehrten Vorzeichen würde er wohl die Moden der heutigen Zeit abtun, die gelegentlich anstelle "göttlicher Funken" nur ephemere Feuerwerke zu versprühen imstande sind. Doch war das nicht immer so?

Plischkes Vermächtnis lebt weiter, und damit auch Nicht-Schüler daran teilhaben dürfen, haben ihm seine Ex-Studenten im Verlag Anton Pustet ein Andenken in Buchform gestiftet: In "Ernst Anton Plischke. Architekt und Lehrer" (129 Seiten, 25,-€) analysieren sie Leben und Werk, und erinnern sich an die Lehre des "Meisters". "Sie müssen Ihre Bauten auch nach zwanzig Jahren gerne besuchen", hatte er etwa gesagt. Seine Schüler waren nach über dreißig Jahren jedenfalls gern zum seinem Andenken gekommen. []

Der Fotograf der Bauten von atelier 4 architects
(ALBUM vom 21.6. ) ist
Mischa Erben.