Nach dem Ende eines mehr als zwei Monate währenden Hungerstreiks kurdischer Häftlinge und Parteipolitiker beschäftigen Spekulationen über denkbare Abmachungen der türkischen Regierung mit dem PKK-Gründer Abdullah Öcalan die Öffentlichkeit im Land. Öcalan ließ am vergangenen Wochenende durch seinen Bruder mitteilen, dass er ein Ende des Hungerstreiks wünsche. Sein Aufruf wurde am Sonntag von den mehr als 780 Insassen befolgt. Sie hatten zum Teil seit 67 Tagen die Nahrungsaufnahme verweigert.

Mehmet Öcalan durfte den Führer der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei am Samstag im Gefängnis auf der Marmara-Insel Imrali besuchen. "Diese Aktion hat ihr Ziel erreicht", richtete Mehmet Öcalan aus. Was dies bedeutet, blieb allerdings noch unklar.

Die Hungerstreikenden hatten der Regierung in Ankara drei Forderungen gestellt. Eine wurde bereits vergangene Woche angenommen: Die Regierung brachte ein Gesetz ins Parlament ein, das Beklagten vor Gericht die Verteidigung in kurdischer Sprache erlaubt.

Die Hungerstreikenden und die Kurdenpartei BDP verlangten darüber hinaus vollständigen Unterricht auf Kurdisch - er ist seit diesem Schuljahr als Wahlfach ab der Mittelstufe möglich - sowie Erleichterungen für den in Isolationshaft gehaltenen Öcalan.

Die Türkei, die EU und die USA stufen die PKK als Terrororganisation ein. Öcalan werde von vielen Kurden als Führer angesehen, erklärte Edibe Sahin, Bürgermeisterin der Kurden-Stadt Tunceli, dem Standard. "Öcalans Haftbedingungen müssen gelockert werden, wenn er als Verhandlungspartner besser eingebunden werden soll", sagte Sahin.

Ein Teil der Hungerstreikenden wird bleibende Gesundheitsschäden davontragen. Gedächtnisverlust, Sehstörungen und Stoffwechselkrankheiten gehören zu den Folgen langen Hungerns. (Markus Bernath, DER STANDARD, 19.11.2012)