"Wenn wir weniger Fleisch essen, können wir einen Beitrag zur Bekämpfung des Hungers in der Welt leisten", sagt Öko-Pionier Georg Schweisfurth.

Foto: dtv/Marianne Bohl

Die Wandlung vom Saulus zum Paulus. So könnte man die Umstellung des Betriebs der Familie Schweisfurth von Massentierhaltung auf ökologische Landwirtschaft bezeichnen. Der in vielen Ländern Europas agierende "Herta"-Fleischbetrieb wurde im Herbst 1985 an die Schweizer Nestlé AG verkauft. Der Hof Herrmannsdorf bei Glonn, 30 Kilometer von München, war der Ort für den Neuanfang. Ziel war artgerechte Tierhaltung, ökologischer Landbau und handwerkliche Verarbeitung in Metzgerei, Käserei und Bäckerei.

"Retro-innovativ" war das Schlagwort. Ein radikaler Kurswechsel zu einer Zeit, als "Bio" noch für eine Spinnerei gehalten wurde und es international wenige Vorbilder für das Vorhaben gab. In seinem neuen Buch "Bewusst anders, Erfahrungen eines Öko-Pioniers" zieht Georg Schweisfurth ein Resümee und entwickelt mögliche Szenarien für eine gesündere Umwelt.

Schimpfwort "ökologisch"

Es habe einige schmerzhafte finanzielle Erfahrungen gekostet, bis die neu gegründete Herrmannsdorfer Landwerkstätten rentabel waren. Auch der Widerstand der Bevölkerung in der Umgebung nagte am Erfolg des Projekts. Offene Ställe, Freilaufflächen und Schweineduschen waren den örtlichen Bauern zu viel. "Damals waren wir Spinner, passten nicht ins bäuerliche Weltbild", sagt der Autor.

Auch bei der Landwirtschaft gab es Gegenwind: Jede Ackerfrucht war standardisiert, so gab es nur eine Qualität. "Ökologischer Landbau" sei ein Schimpfwort gewesen, ein Politikum, berichtet Schweisfurthh: "Wir waren Verhinderer der modernen Errungenschaften der Technik. Bio war damals alles andere als sexy."

Einschnitt durch Tschernobyl

Erst Tschernobyl trug zu einem grundlegenden Gesinnungswandel der Gesellschaft bei: Erneuerbare Ressourcen und eine lebenswerte Zukunft waren plötzlich oberste Priorität. Auch die Nachfrage nach Biolebensmittel steigt seither stetig. Schweisfurth erkannte den Bedarf und gründete 1997 mit Freunden die erfolgreiche Bio-Supermarktkette "basic AG". Das Unternehmen verzeichnete 2010 ein Umsatz von 100 Millionen und betreibt heute 24 Märkte in 14 deutschen Städten. Im Juni 2006 wurde die erste Filiale in Wien eröffnet.

derStandard.at: Weshalb stieg ihr Vater Mitte der 1980er-Jahre aus dem System Massentierhaltung aus und verkaufte die Firma "Herta"?

Schweisfurth: Das hatte zwei Gründe: Einerseits war das immer industrieller werdende Agrarsystem nicht mehr mit Tierwürde vereinbar, zweitens wurden die Bandagen in der Preisauseinandersetzung zwischen Lebensmittelindustrie und Handel immer härter geschnürt. Die Margen standen unter Druck, sodass immer mehr Technologie eingesetzt werden musste, um Rohstoffe zu sparen.

Damit geriet die Qualität der Erzeugnisse unter Druck. Beides ließ sich mit den Überzeugungen meiner Familie und insbesondere meines Vaters immer weniger vereinbaren, sodass es zum Verkauf kam.

derStandard.at: Aus eigener Erfahrung: Massentierhaltung oder Bio-Betrieb, was ist rentabler?

Schweisfurth: Biobauern-Familienbetriebe haben ein höheres vergleichbares, verfügbares Einkommen als konventionelle Betriebe. Gerade im Tierhaltungsbereich sind die Bioaufschläge signifikant besser, speziell auch bei Geflügel. Der konventionelle Bauer ist durch die schwachen Margen fast schon zu "immer mehr Tiere" verdammt, weil er anders seine Einkommenssituation nicht verbessern kann. Und das, obwohl im Biobetrieb drei, im konventionellen bis zu 14 Masthähnchen auf einem Quadratmeter leben. Die Tiere im Biobetrieb werden auch bis zu 70, im konventionellen Mastbetrieb nur zwischen 30 und 35 Tage alt.

derStandard.at: Welche Philosophie steckt hinter den Herrmannsdorfer Landwerkstätten, die der ökologische Neuanfang ihrer Familie war? Wie wurden dort die Grundlagen des ökologischen Landbaus entwickelt und umgesetzt?

Schweisfurth: Herrmannsdorf steht für "small is beautiful", und zwar mit folgenden Nebenerscheinungen: Der Schutz der Lebensmittelhandwerks ergibt interessantere, vielseitigere Arbeitsplätze und eine höhere Qualität der Produkte. Etwa durch kurze Transportwege für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Tiere sowie für fertige Produkte durch regionale Vermarktung. Dazu liefern rund 100 regionale Biobauern durch verlässliche und nachhaltige Kooperationen alles, was wir in der eigenen Landwirtschaftnicht selbst erzeugen.

Würdevolle Tierhaltung ist eine Priorität. Ebenso die Vielfalt: Bio-Landwirtschaft, Metzgerei, Bäckerei, Käserei, Brauerei, Brennerei, Wirtshaus, Hofmarkt - alles unter einem Dach. Und auch der vernünftige Umgang mit Energie und Abfällen ist uns wichtig. Das gelingt mit Biogas, Photovoltaik, Permakultur und einer eigenen biologischen Klärnalage.

derStandard.at: Sie berichten in ihrem Buch von der Begegnung mit Masanobu Fukuoka, einem Guru der japanischen Bauern, den sie auf einer ihrer Studienreisen getroffen haben. Er wurde vor allem mit seiner "Nichts-tun-Landwirtschaft" bekannt. Was bedeutet das und was konnten Sie von seinem Wissen nach Deutschland mitnehmen?

Schweisfurth: Es geht ja im Prinzip darum, den Energieeinsatz zu minimieren, also die Input-output-Rechnung zu verbessern. Etwa bei Maschinen oder Mineraldünger, der ja auch aus Erdöl hergestellt wird. Ganz generell ist es wichtig, die Grenzböden wieder fruchtbar zu machen. Das heißt Wüsten zu blühenden Landschaften umzuwandeln. Das führt ja Ihr Landsmann Sepp Holzer in der ganzen Welt sehr erfolgreich durch Retentionsbecken und andere Maßnahmen durch.

Fukuoka hat spektakuläre Abwurfaktionen aus Flugzeugen über Wüsten gemacht: Lehmpellets, in denen Samen stecken, die durch die hydroskopische Wirkung des Lehms und der Feuchtigkeit der Nächte selbst im Wüstensand keimen. Eine Lösung ist zudem, weniger Wasser zur Irrigation durch bodendeckende Pflanzen verwenden zu müssen und die ganzjährige Durchwurzelung der Böden zu erreichen. 80 Prozent des weltweiten Wasseraufkommens wird in der Landwirtschaft gebraucht. Meiner Meinung nach: Viel zu viel.

derStandard.at: Sie berichten auch, dass der Wert der Lebensmittel in Asien mehr geschätzt wird. Das beginnt schon mit der appetitlicheren Präsentation der Nahrung. Haben wir die Demut vor der Natur und den Lebensmitteln verloren?

Schweisfurth: Ja, das haben Sie schön ausgedrückt, das ist so. Bei uns sind die Nahrungsmittel so selbstverständlich, dass wir gar nicht mehr auf die Idee kommen, uns dafür zu bedanken. Die Japaner leben viel mehr mit der Natur, haben durch ihr Inseldasein und den dadurch entstandenen Wert der Selbstversorgung, also der Unabhängigkeit von Importen, viel mehr Nähe zu ihrer Lebensmittelproduktion. Deswegen gehen sie sorgfältiger um, werfen nicht soviel weg.

derStandard.at: Sie schreiben auch, dass in den 1980er-Jahren Gesundheit und Ernährung nicht viel miteinander zu tun hatten. Hier hat sich in den Köpfen der Menschen einiges verändert: Ist das auch eine Chance für die Umwelt?

Schweisfurth: Dieser Schluss ist zulässig. Wenn wir uns gesünder ernähren, kommen wir zu anderen Tierhaltungssystemen und ökologischem Landbau. Wenn wir dann noch weniger Fleisch essen, können wir sogar noch einen Beitrag zur Bekämpfung des Hungers in der Welt leisten: Tierfutterproduktion in den sogenannten Entwicklungsländern ist ein Nahrungskonkurrent für die einheimische Bevölkerung. Futterexporte dienen nur den Reichen im Land.

derStandard.at: Ein grundlegendes Problem ist nicht nur die Lebensmittelproduktion, sondern auch die Herstellung von sogenanntem Biogas. Steht die Energiegewinnung auch in Deutschland schon in Konkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion?

Schweisfurth: Ja, das tut sie. 30 Prozent der Ackerflächen in Bayern sind inzwischen für "Energiefrüchte" reserviert. Die Preise für Feldfrüchte wie Getreide und Kartoffeln steigen dadurch, was für Bauern übrigens nicht so schlecht ist. Biogas ist aber eine Übergangstechnologie, das wissen alle. Erstens wegen der Nahrungsfrage, zweitens aber auch deshalb, weil die CO2-Bilanz vorne und hinten nicht aufgeht. Eine echte Mogelpackung, der die Politik leider auf den Leim gegangen ist, als sie das EEG (das deutsche Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien) formulierten. In 30 Jahren werden wir so viel nachhaltigen Strom haben, daß wir damit alles machen können: heizen, produzieren oder fortbewegen.

derStandard.at: Bio für die Massen: Könnte der Bio-Boom zu Lasten der Qualität gehen?

Schweisfurth: Natürlich wird immer gefragt, ob das denn noch alles Bio ist, was da in Mengen in den Regalen der Supermärkte liegt. Ich sage immer, wenn wir wenigstens aufhören mit dem künstlichen Düngen und dem Giftspritzen, ist schon sehr viel geholfen. Wenn die Biorohstoffe dann industriell verarbeitet werden, hilft das den Preis für das Bioprodukt zu senken und ist vielleicht ein Wermutstropfen, aber immer noch gut vertretbar.

derStandard.at: Apropos Preissenkung: Müssen Bio-Lebensmittel zwingend teurer sein?

Schweisfurth: Ja, leider. Das hängt aber damit zusammen, dass die wahren Kosten, nämlich die Umweltkosten der konventionellen Produktion, nicht von den Verursachern getragen werden, sondern von der Allgemeinheit. Wenn diese, zugegebenrmassen schwer zu ermittelnden, Kosten in den Preis der konventionellen Produkte einfließen würden, wären Bio und konventionell im Preis gleich.

derStandard.at: Kritik gab es vor einigen Jahren für die Allianz zwischen Basic und Lidl. Bio-Supermarkt und Discounter gehen nicht zusammen, meinten Kritiker, darunter ihr Zwillingsbruder. Die Verbindung wurde bald wieder beendet: Wie stark war hier die Macht der Konsumenten?

Schweisfurth: Die Konsumenten haben durch ihren Protest und ihre Kaufzurückhaltung Lidl zum Ausstieg gezwungen. Die Macht war im Hause basic anders verteilt, als es zu dem Zusammenschluss kam: Auch ich hatte immer gewarnt, dass eine solche Liaison den Traum vieler Kundinnen und Kunden und auch Lieferanten von einem Gegengewicht gegen Lidl und Co. zerstören würde. Und dass deshalb das Ansehen von basic leiden würde. Aber ich konnte mich damals nicht durchsetzen. Heute ist alles wieder gut und basic ist frei und profitabel.

derStandard.at: Sie sind seit Jahren im Aufsichtsrat von Greenpeace Deutschland. Für eine gesündere Umwelt zu sorgen sei keine Hexerei, sagten Sie einmal in einem Interview. Wieso fällt es uns trotzdem so schwer?

Schweisfurth: Weil wir Menschen eigentlich immer noch so handeln, als seien wir allein auf der Welt. Der Weg vom egozentrischen Denken und Handeln mit all den Sachen wie Geltung, Macht, Konsumirresistenz zum altruistisch denkenden und handelnden Wesen ist lang. Da kommt die Gesetzgebung natürlich auch nicht nach, denn die ist ja auch menschgemacht. Wir hoppeln deshalb den Ereignissen immer ein Stück hinterher. Aber es wird besser. Dafür kämpfen wir. (Julia Schilly, derStandard.at, 26.11.2012)