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Es war einmal eine Idylle, die es so nicht mehr gibt.

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Immer mehr Firmen haben ihre Zentralen außerhalb Österreichs, immer mehr Arbeitnehmer sind atypisch beschäftigt - schlecht für die Sozialpartner, sagt Anton Pelinka.

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Die Freiheiten des Binnenmarktes schränken die Gestaltungsmöglichkeiten der Sozialpartner ein. Einzige Option ist eine Sozialpartnerschaft auf EU-Ebene, erklärt der Politologe Anton Pelinka schriftlich im Interview mit derStandard.at.

derStandard.at: Man hat das Gefühl, dass die Sozialpartnerschaft bröckelt. Die Metaller verhandeln nicht mehr für alle Verbände gemeinsam, KVs werden einseitig von Arbeitgeberseite aufgekündigt. Woran liegt das?

Pelinka: Die Sozialpartnerschaft hat ihre große Zeit hinter sich. Das heißt nicht, dass sie völlig bedeutungslos wird. Aber eine auf einen einzigen Nationalstaat beschränkte Sozialpartnerschaft wird immer weniger mit der Dynamik grenzüberschreitender Entwicklungen zu Rande kommen.

derStandard.at: Werden Kollektivverträge verschwinden?

Pelinka: Nicht grundsätzlich - aber es gibt die Tendenz, Kollektivverträge nicht mehr Branchenweise, sondern für relativ kleine Gruppen abzuschließen. Das fördert die Ungleichheit von Lohnabschlüssen.

derStandard.at: Sie sagen, die Sozialpartner hätten immer weniger zu verteilen. Wie meinen Sie das?

Pelinka: Die Sozialpartnerschaft funktionierte dann bestens, wenn durch Wachstum reale Zuwächse, also Löhne und Gewinne, für alle möglich waren. Durch das rückläufige Wachstum verliert man immer mehr die Möglichkeit, von einer "win-win"-Situation ausgehen zu können.

derStandard.at: Was wäre eine Alternative zur Sozialpartnerschaft mit Parteibuch?

Pelinka: Die Sozialpartnerschaft kann auf einer rein österreichischen Grundlage nicht viel mehr als Rückzugsgefechte liefern. Die beste Option wäre eine Sozialpartnerschaft auf EU-Ebene. Dafür fehlen freilich zumindest in den nächsten Jahrzehnten die Voraussetzungen eines relativen Gleichklangs wirtschaftlicher und politischer Bedingungen.

derStandard.at: Früher waren Sozialpartner wie Anton Benya und Rudolf Sallinger sehr stark. Sie waren sich ihres Gestaltungsspielraums bewusst und haben ihn genutzt. Vertrauen die Sozialpartner heute mehr auf die EU? Oder fühlen sie sich gar ohnmächtig?

Pelinka: Das Problem ist, dass die Freiheiten des Binnenmarktes die Gestaltungsmöglichkeiten der Sozialpartner beschränken. Immer mehr Unternehmungen haben ihre Zentralen außerhalb Österreichs und können daher von der Wirtschaftskammer weder vertreten noch politisch domestiziert werden. Und: Immer mehr Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen arbeiten in atypischen Beschäftigungsverhältnissen - von der Teilzeit bis zum Arbeitsplatz zuhause, am Computer. Daher sinkt die Repräsentativität des ÖGB (Österreichischer Gewerkschaftsbund, Anm.).

derStandard.at: Oft heißt es, ihre mangelnde Liebe zur EU lässt die Österreicher auch an der Sozialpartnerschaft zweifeln. Ist da was dran?

Pelinka: Ich sehe da keinen direkten Zusammenhang. Wir können freilich eine generelle politische Säkularisierung beobachten - politische Loyalitäten sind ganz allgemein rückläufig, das betrifft Parteien ebenso wie die Sozialpartner, und das wird durch die EU nicht aufgefangen.

derStandard.at: Haben sich die Sozialpartner in der Bekämpfung der Finanzkrise ausreichend eingebracht?

Pelinka: Es hätte mehr sein können, aber da war kein wirklicher sozialpartnerschaftlicher Konsens erkennbar. ÖGB und Arbeiterkammer haben ohnehin Probleme, europäische Solidarität argumentativ zu verteidigen.

derStandard.at: Sie sagen, die finanzkräftige Industriellenvereinigung wäre eine Säule der von Wolfgang Schüssel und Jörg Haider geschmiedeten Koalition gewesen. Sie ist auch ein starker Verfechter europäischer Deregulierung. Wie positioniert sich die Industrie heute, wo wir wieder eine große Koalition haben?

Pelinka: Die Industriellenvereinigung hat den Vorteil, dass sie strukturell viel flexibler ist als die Wirtschaftskammer. Dadurch hat sie auch nach 2000 eine proaktive Rolle gespielt. Die Finanzkrise hat sie allerdings - so ist zumindest zu hoffen - nachdenklicher bezüglich der Deregulierung gemacht.

derStandard.at: Hat schwarzblau eine Öffnung der Sozialpartnerschaft hin zu den Freiheitlichen gebracht?

Pelinka: Das sehe ich nicht, dazu ist die FPÖ als Partei viel zu wenig berechenbar. Die freiheitlichen Versuche, das Monopol des ÖGB zu brechen, sind gescheitert. Die Industrie kann mit den Freiheitlichen und deren Anti-EU-Populismus wenig anfangen. Die FPÖ ist eine volatile Protestpartei, die der Sozialpartnerschaft wenig bringen kann. (Hermann Sussitz, derStandard.at, 29.11. 2012)