Wien - Die Krise war ein tiefes, aber nur schmales Tal - zumindest für jene Menschen, die nicht auf Lohnarbeit angewiesen sind. Nach einem massiven Einbruch im Jahr 2009 sind die Erträge aus Unternehmen und Vermögen sofort wieder nach oben geschossen - allein 2010 um 11,9 Prozent. Mittlerweile ist das Vorkrisenniveau längst übertroffen.

Gewöhnliche Werktätige können von so einem Sprung nur träumen. Dank einer der wegen der Inflation üppigen Lohnrunde gab es in der Krise zwar kein Minus zu verdauen, doch nun hinken die Arbeitnehmerentgelte wieder weit hinterher: 2010 betrug das Plus nicht einmal ein Fünftel vom Zuwachs der Unternehmens- und Vermögenserträge.

Die Entwicklung pendelt sich damit wieder in einen langfristigen Trend ein, den der neue Sozialbericht nachzeichnet: Seit Mitte der Neunzigerjahre ziehen die Einkommen aus Unternehmen und Vermögen davon. Die Arbeitnehmerentgelte wuchsen indessen schwächer als die Wirtschaft. Das glichen auch die staatlichen Sozialleistungen nicht aus: Die verfügbaren Haushaltseinkommen blieben ebenfalls zurück.

In Summe profitieren Arbeitnehmer, sofern sie keine anderen Einkünfte haben, damit immer weniger am wachsenden Wohlstand: Der Anteil der Löhne am Volkseinkommen ist - ausgenommen der Ausreißer in der Krise - kontinuierlich gesunken. Als Gründe nennt Christine Mayrhuber vom Wirtschaftsforschungsinstitut, Koautorin des entsprechenden Kapitels im Sozialbericht, die gestiegene Arbeitslosigkeit, die sich auch in geschwächter Verhandlungsmacht der Gewerkschaft und mageren Lohnrunden niederschlägt, sowie die wachsende Gruppe an schlecht verdienenden Teilzeitlern und atypisch Beschäftigten.

Steuern auf Arbeit wuchsen

Die staatliche Steuerpolitik hat nicht entgegengesteuert, sondern den Trend sogar verschärft. Dies belegt der Umstand, dass die Nettolohnquote noch niedriger als die Bruttolohnquote liegt und immer weiter zurückfiel: Die Abgaben lasten auf dem Faktor Arbeit damit nicht nur schwerer als auf den Unternehmens- und Vermögenserträgen, sondern haben sich auch immer weiter zuungunsten der Lohneinkommen verschoben.

Auch unter den Lohnbeziehern öffnet sich eine Kluft. In 15 Jahren sank der Anteil des untersten Einkommenfünftels von 2,9 auf zwei Prozent, während das Top-Fünftel von 44,4 auf 47,4 zulegte. Die bestverdienenden 20 Prozent lukrieren somit fast die Hälfte des gesamten Erwerbseinkommens. Allerdings wirken die Leistungen des Sozialstaates dem entgegen: Die verfügbaren Haushaltseinkommen sind nicht ungleicher verteilt als vor fünf Jahren.

Dass der Sozialstaat, wie Kritiker argwöhnen, dabei "aufgebläht" wurde, lässt sich aus den Daten nicht ablesen: Die Sozialquote - Sozialausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt - blieb von 1995 bis 2008 konstant bei 28 Prozent und liegt nach einem Anstieg in der Krise auch jetzt nur um einen Prozentpunkt höher.(Gerald John, DER STANDARD, 21.11.2012)