Wien – Von klein auf, erzählt der 15-jährige, hätten Zeichnen und Malen für ihn zu den wichtigsten Dingen gehört. Schon in Pakistan, wohin seine Schwester und er als Angehörige der afghanischen Hazara-Minderheit flohen, habe ein Lehrer sein Talent erkannt. Habe ihm eine Grafikausbildung empfohlen: "Aber dann haben die Angriffe auf Mitschüler auf dem Schulweg begonnen. Viele sind gestorben. Ich hatte Angst."

Zu diesem Zeitpunkt – er war 14 – riet ihm die frisch verheiratete Schwester zur Weiterflucht. Zur lebensgefährlichen Schlepperreise nach Europa, so wie sie derzeit tausende junge Afghanen allein antreten. Für den Jugendlichen dauerte sie vier Monate. Dann stand er vor nunmehr elf Wochen vor der Pforte des Erstaufnahmezentrums Traiskirchen. Stellte einen Asylantrag, wurde, mangels jugendadäquater Quartiere, im Lager untergebracht. Und begann zu zeichnen und zu malen.

Kirche und Erinnerungsszenen

Zum Beispiel Motive aus der Lagerumgebung. Eine Zeichnung stellt die evangelische Kirche an der nächsten Ecke dar. Das Laub der Bäume hat er in schillernden Grüntönen getroffen.

Ebenso Erinnerungsszenen aus der Heimat. Eine Buddhastatue: "Die Taliban haben sie gesprengt." Das Bild einer unverschleierten Frau, die ihrem Baby die Brust gibt: "In Afghanistan würden viele Menschen sagen, das ist schlechte Malerei", kommentiert der Jugendliche.

Schulsehnsüchte

Seine künstlerischen Fähigkeiten sprachen sich auch in Traiskirchen herum. Nach der Eröffnung dreier Schulklassen im Lager wurden Journalisten in einen Aufenthaltsraum geführt, wo eines seiner Gemälde an der Wand hing.

Es zeigt einen Buben, der sehnsüchtig durch ein Fenster in eine Schulklasse schaut. Doch so wie alle in Österreich entstandenen Bilder des jungen Afghanen wäre wohl auch dieses ohne Hilfe von außen nicht gemalt worden.

"Ich habe ihm Farben gekauft, genug Geld dafür erhält er nicht. Ich habe ihm einen Kulturpass verschafft und ihn in die Wiener Museen geführt. Dort blieb er tagelang", schildert Michael, ein ehrenamtlicher Unterstützer. Auf Talente von Asylwerbern werde keine Rücksicht genommen, kritisiert er: "Es herrscht Bürokratie pur."

Da Vinci, Picasso, Schiele

Michael hat ihn zum Treffen mit dem Standard begleitet, zu dem der zurückhaltende Bursch ein Dutzend Bilder mitgebracht hat. Die Museumsbesuche hätten ihm sehr geholfen, sagt der Jugendliche: "Ich habe die Methoden von Leonardo, von Picasso und Schiele studiert."

Er würde gern in Wien bleiben und Malerei lernen, schließt er an. Doch das ist am Mittwoch in noch weitere Ferne gerückt: Der junge Flüchtling wurde in Länderbetreuung nach Vorarlberg überstellt. Gefragt, ob er dort hinwill, hat ihn keiner. (Irene Brickner, DER STANDARD, 22.11.2012)