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Am letzten Tag ihres Prozesses musste Estibaliz C. hören, dass sie an einer "gravierenden Persönlichkeitsstörung" leide.

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Wien - Kann man die menschliche Psyche quantifizieren? Kann man sagen, was ein Mensch in der Zukunft machen wird? Psychiatrische Gerichtsgutachter sind oft dieser Meinung. So auch Adelheid Kastner am letzten Tag des Mordprozesses gegen Estibaliz C. im Fall der "Kellerleichen". Exakt 31 Prozent betrage die Wahrscheinlichkeit, dass C. in den kommenden zehn Jahren rückfällig wird, hat Kastner errechnet. Um gleich einzuschränken: Die zugrunde liegenden Modelle sind auf Männer genormt. Weibliche Mehrfachmörderinnen gibt es offenbar zu selten.

Doch selbst die 31 Prozent sagen nichts aus. Denn grundsätzlich beträgt das Risiko, dass jemand, der einen Menschen tötet, es auch ein zweites Mal tut, zwischen null und sechs Prozent. "Bei Frau C. sind aus diesen sechs Prozent aber schon einmal 100 geworden." Dass sie zwei Männer erschossen hat, hat die 34-Jährige zugegeben.

Am vierten und letzten Prozesstag geht es für das Geschworenengericht un ter Vorsitz von Susanne Lehr, die die Verhandlung sicher geleitet hat, um die Frage, für wie lange C. in Haft muss. Das Verteidigerduo Rudolf Mayer und Werner Tomanek hofft auf 20 Jahre plus die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Die Staatsanwältinnen Petra Freh und Dagmar Pulker plädieren dagegen auf lebenslang plus Unterbringung.

"Männliche Dominanz"

Kastner soll bei der Entscheidung mit ihrem Psychogramm helfen. Als Prämisse glaubt sie der Spanierin, dass in deren Familie die "männliche Dominanz als Weltbild" vorgeherrscht habe. Und akzeptierte Weiblichkeit Attraktivität und Anpassung verlange. C. habe sich auf die "frenetische Suche nach externen Selbstwertstabilisatoren" begeben. Und diese Faktoren waren ein Mann und ein Kind.

Das mörderische Problem: Wenn der Partner nicht ihrem Idealbild entsprach, konnte sie sich nicht einfach von ihm trennen, wenn es Schwierigkeiten gab. Sei es, wie beim ersten Opfer, Ex-Mann Holger H., der nicht ausziehen wollte. Sei es, wie beim zweiten Opfer Manfred H., der viel Geld in das Lokal investiert hatte.

"Die Beziehungen müssen sich für sie angefühlt haben wie ein Käfig. Welche Lösungen gibt es dann? Das Verfallen in eine Depression, Selbstmord, oder sich des Partners zu entledigen." C. wählte den dritten Weg. "Es gab dabei eine Linie: Fantasie, reale Möglichkeit, echte Lösungsalternative, Gewissheit und schließlich die Handlung", meint Kastner. Und für sie ist damit auch klar, dass die Angeklagte zurechnungsfähig sei. Denn: "Sie hat die Taten durchgespielt und sie rational einordnen können." Und: "Es war ihr immer klar, was Recht und Unrecht ist."

Gutachterin: Spätestens zweite Tat kein Affektdelikt mehr

Spätestens die zweite Tat könne kein Affektdelikt mehr gewesen sein. "Aus der ersten Tat hat Frau C. gelernt: Sie hat die Situation nach der zweiten Tat rascher und effizienter bereinigt."

In Wahrheit sei ihr Verhalten "Narzissmus pur", sie stelle die eigenen Bedürfnisse absolut über alles andere. Dazu komme aber gleichzeitig die Abhängigkeit von den Partnern. Kastners Conclusio: C. leide an "einer gravierenden, umfassenden, vielgestaltigen Persönlichkeitsstörung". Eine Einsicht fehle ihr bisher, ein Heilungsversuch mittels Psychotherapie "dauert sicher Jahre".

Nach gut einstündiger Beratung fällen die Geschworenen ein einstimmiges, nicht rechtskräftiges Urteil. Sie folgen den Anklagevertreterinnen und verhängen neben lebenslanger Haft auch die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. (Michael Möseneder/DER STANDARD, 23.11.2012)