Bild nicht mehr verfügbar.

Bosnische Kroaten bei einer Versammlung im März 2001 in Mostar, wo sie eine eigene Autonomieregierung in den mehrheitlich von Kroaten bewohnten Gebieten ausgerufen haben.

Foto: DAMIR SAGOLJ / reuters

Bild nicht mehr verfügbar.

Verteilung der bosnischen Volksgruppen im Jahr 2002. In Bosnien und Herzegovina gab es seit 199 1keine Volkszählung. Der für 2011 geplante Zensus ist gescheitert und wurde auf 2013 verschoben.

Foto: Tom Dubravec / apa

Bild nicht mehr verfügbar.

Bosnische Kroaten bei einer Versammlung im März 2001 in Mostar, wo sie eine eigene Autonomieregierung in den mehrheitlich von Kroaten bewohnten Gebieten ausgerufen haben.

Foto: Tom Dubravec / apa

"Bist du grün, rot oder blau?" In dieser oder anderer Form wird diese Frage so gut wie jedem gestellt, der Wurzeln in Bosnien und Herzegowina hat. Das mag für manche verwunderlich klingen, es ist aber Alltag, auch und gerade fernab des Landes. Die Farben stehen für die unterschiedlichen Religionsgemeinschaften, die in Bosnien und Herzegowina auch auf staatspolitischer Ebene voneinander getrennt werden: MuslimInnen, serbisch-orthodoxe ChristInnen und kroatische römisch-katholische ChristInnen. Die Religionszugehörigkeit bedeutet für viele BosnierInnen Identität, ist geradezu untrennbar mit ihr verbunden. Das Religiöse ist nicht mehr eine private Angelegenheit, es wird öffentlich zur Schau gestellt, ist exklusives Unterscheidungsmerkmal von‚den Anderen'.

Diese Zuteilung einzelner Gemeinschaften zur Religion ist in der Gleichsetzung "Kroatin = Katholikin" erkennbar. Viele AutorInnen haben versucht sich diesem Thema anzunähern. Doch die meisten von ihnen scheiterten daran, dass sie jeder Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina ihre eigene, völlig losgelöste Geschichte gaben. So werden historische Fakten nicht nur falsch interpretiert; solche Erklärungsversuche machen es auch unmöglich, die bosnische Geschichte als eine gemeinsame zu denken und andere Zugänge zuzulassen.

Dass es schwierig ist, andere Geschichten zu schreiben, beweist auch das bis dato kaum beachtete Werk des kroatischen Ethnologen, Historikers und Journalisten Ivan Lovrenović. In seinem 2002 erschienenen Buch "Bosanski Hrvati - esej o agoniji jedne evropsko-orijentalne mikrokulture" (Bosnische Kroaten - Essay über die Agonie einer europäisch-orientalistischen Mikrokultur) beschäftigt er sich mit der Geschichte der katholischen Glaubensgemeinschaft in Bosnien - denkt diese aber nicht getrennt von den anderen. Im Gegenteil: Lovrenović sucht eine gemeinsame bosnische Geschichte, hybride Elemente und Dialog.

Fatale politische Ideen

Niemand will aber so recht wissen, was mit "bosnischen KroatInnen" gemeint ist. Ist es eine Zuwendung zum Nationalstaat Kroatien oder einfach eine Markierung der religiösen Zugehörigkeit? Wer sind diese "bosnischen KroatInnen"? Lovrenovićs ernüchternde Feststellung: "Über die bosnischen Kroaten gibt es kein elementares systematisches Wissen, und ihre kulturgeschichtliche Identität bleibt sogar ihnen selbst verborgen." Der Autor versucht ein "Mosaik aus Bildern und Erinnerungen" - fragmentarisch und unvollständig - einer "vergessenen Geschichte" zu zeichnen.

Vergessen, weil die parteipolitische Instrumentalisierung durch nationalistische Visionen andere Zugänge und Geschichten überdeckt(e). Geht es nach Lovrenović, müsse eingesehen werden, dass die nationalistischen Ziele während des bosnischen Krieges und danach ein Fehler in jeder Hinsicht waren und die "Selbst-Ignoranz" bosnischer KroatInnen das Resultat dessen. Die "schädlichste politische Meinung" sei zu einem positiven Wert geworden, das "svehrvatstvo" - die Idee eines großkroatischen Staates. Lovrenović sieht die Flucht vieler bosnischer KroatInnen als Resultat dieses "Pan-Kroatismus" und der Negation einer eigenen, spezifischen bosnischen Identität. Wesentlich dazu beigetragen hätten kroatische Nationalisten wie Franjo Tuđman, der erste demokratisch gewählte Präsident Kroatiens und Begründer der rechtskonservativen Partei HDZ (Hrvatska demokratska zajednica - Kroatische Demokratische Union) und seine Visionen der Vergrößerung des kroatischen Territoriums.

Das Kroatentum

Diese Idee des „Kroatentums" wurde als politische geboren, tritt jedoch heute nicht nur in der Form einer fatalen politischen Idee auf, sondern in der Form eines sozialpsychologischen Zustandes, so der Autor. Hier wird die politisch-nationalistische Instrumentalisierung deutlich, die sich unmittelbar auf das Selbstverständnis der bosnischen KroatInnen auswirkt. Diese großkroatische Idee ist gescheitert und ihre „größten Opfer sind die Kroaten in Bosnien und Herzegowina", meint der Autor: "In dieser panischen Fantasie, Kroate zu sein, kann es nur so sein, dass das eigentliche Bosnier-Sein nur dazu taugt als niedrigerer Wert ausgerottet zu werden, nahezu wie eine geschichtliche Schuld, mitunter wie ein Schandfleck, und sich ganz der Abstraktheit des allgemeinen und homogenen Kroatentums hinzugeben."

Lovrenović argumentiert auch damit, dass der Begriff "bosnische KroatInnen" ein moderner ist: "Vor dem modernen politischen Gebrauch des Begriffs 'Kroate' als der Name einer Nation knapp vor Ende des 19. Jahrhunderts, sahen bosnische Katholiken Bosnien mit großem Stolz als ihr Heimatland an, und nannten sich einfach Bosnier, so wie andere sie auch nannten." 150 Jahre des Vergessens ihrer bosnischen Wurzeln produzierten diese „Selbstignoranz" der heutigen bosnischen KroatInnen. Der Weg aus dem Dilemma ist jener, "Kroate zu sein, aber auf bosnische Art" - sich eine "zweifache Zugehörigkeit" zu schaffen. Der Begriff "bosnische KroatInnen" hat laut Lovrenović ausgedient, die Bezeichnung "bosnische KatholikInnen" wäre angemessener und würde für weniger Verwirrung sorgen.

"Moderner Dämon Nation"

In einem Interview mit der bosnischen Zeitschrift "Sarajevske Sveske" aus dem Jahr 2009 sagte Lovrenović: "Die heutigen Bosniaken, Serben, Kroaten in Bosnien und Herzegowina sehen sich und denken sich als "reine" Bosniaken, Serben und Kroaten, den breiten sozialhistorischen Kontext weggenommen, in dem sie auch das, aber auch etwas anderes waren." Identität werde fälschlicherweise immer als organisch, ganzheitlich, unveränderbar gefasst. Das größte Problem sei daher die Unmöglichkeit, eine wirklich plurale demokratische Gemeinschaft zu schaffen. "Denn bevor die Diskussion darüber sich überhaupt ausbreiten kann, wird sie schon dämonisiert. Das Resultat ist der Ausstieg aus der Diskussion - in meinen Augen das Tragischste", so Lovrenović weiter.

Ganz abgesehen von der Geschichtsschreibung, die Lovrenović in seinem Werk anbietet, teilt er uns vor allem eins mit: Kulturen sind hybrid und offen. Nicht statisch, nicht homogen und schon gar nicht "schon immer da und nur so gewesen". Das Werk bietet Argumente gegen den grassierenden Nationalismus - dem "modernen Dämon Nation", wie Lovrenović sagt. Trotz des Umstandes, dass das Buch nicht alle Aspekte berücksichtigt - vor allem der Ära des Sozialismus wird wenig Platz eingeräumt - und trotzdem, dass der katholischen Kirche eine große Rolle zugewiesen wird, ist "Bosanski Hrvati" ein unterschätztes Werk, das vor allem versucht, eine Alternative für die Zukunft Bosnien und Herzegowinas zu zeichnen.

Aktuell ist das Buch in jeder Hinsicht: Demnächst findet in Bosnien und Herzegowina die erste Volkszählung seit 1991 statt. Und sie wirft wieder Fragen auf: Nach der Sinnhaftigkeit dieses Systems und der Zukunft dieses geteilten Landes. Lovrenovićs letztes Argument gibt aber Hoffnung: Andere Geschichten leben und alternative Wege waren immer und sind noch immer möglich. Weg von aufgeblähten Ideen eines nationalen Schicksals, eines glorreichen Staates. Das Ziel sollte ein gemeinsames Leben in Bosnien und Herzegowina unter Beibehaltung kultureller Unterschiede sein - nicht die politische Einheit der kroatischen KatholikInnen unter dem Banner eines kroatisch-nationalistischen Gefühls. Denn, so schreibt er zum Schluss: "Es kann auch anders sein." (Jelena Gučanin, 22.11.2012, daStandard.at)