Peter Fox und Seeed aus Berlin schmeißen in der Stadthalle eine Party des Jahres.

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Wien - Bevor Seeed aus Berlin das Haus rocken und die Party beginnt, erst einmal ein wenig ausholen. Horch zu: Alle wesentlichen Musiken und musikalischen Techniken seit dem Tod des Rock 'n' Roll und Kurt Cobains beziehungsweise seit Eintritt Elvis Presleys in die Army beruhen auf Innovationen, die ursprünglich aus Jamaika kommen. Ist so.

Reggae, Dub, der DJ als Künstler, dieser rhythmisch akzentuierte Sprechgesang von Kerlen mit dicker Hose und vollen Brieftaschen, das Mischpult als Instrument, zuletzt der exzessive Einsatz des Autotune-Effekts auf die Gesangsstimme, nicht zu reden vom auch für starke Raucher äußerst bekömmlichen Herzschlagrhythmus - und natürlich der Bass. Bass, Bass, wir brauchen Bass: Jamaika ist musikhistorisch betrachtet heute für die ganze Welt, was früher Afrika für Nordamerika war.

Auch wenn das Land von Wirbelstürmen, Armut, Gewalt und Drogenkriegen, der Gombay Dance Band oder Shaggy und Sean Paul sowie weltweit anreisenden Rucksackkiffern immer wieder auf eine harte Probe gestellt wird, hat es doch die Kraft, die Menschen etwas lockerer zu machen.

Das funktioniert so gut, dass man sich sogar freiwillig deutsche Wahljamaikaner wie Seeed aus Berlin anschaut. Das Bandkollektiv Seeed unter der souveränen Leitung des Diktators auf Zeit Peter Fox punktet in der beinahe ausverkauften und fast rauchfreien Wiener Stadthalle in erster Linie mit musikalischer und menschlicher Wärme in kalten, harten Zeiten. In zweiter Linie wird von einer Big Band im Hintergrund eindringlich darauf hingewiesen, dass Menschen gerade in kalten, harten Zeiten ein Recht darauf haben, gegen diese Gemeinheit ordentlich anzufeiern. Seien wir ehrlich, die Zeiten waren auch in den Wellblechhütten Berlins oder in Wien-Babylon immer schon nicht wirklich gut, deshalb hat sich das Niveau der Partys immer relativ hoch gehalten.

Tanzbärende Sänger

Seeed liefern dazu, technisch perfekt und gerade richtig schlampertatschig nachlässig, obendrein den nicht immer nur unbeschwerten Soundtrack. Dancehall Caballeros, Schwinger, Augenbling, Waterpumpee, Dickes B, Music Monks, Ding. Kein Hit fehlt, jeder Song schreit: Wo sind die Hände?!

Manchmal sind die Hände der drei synchron tanzbärenden Sänger - Peter Fox alias Enuff sowie seiner Adjutanten Ear (Demba Nabé) und Eased (Frank A. Dellé) - in die Hüften gestützt. Man muss sich die Musik dieser wunderbaren und herzerweiternd vortragenden Band so vorstellen: Ein Mann stellt sich nach der Inhalation einer Knuspertüte breitbeinig hin, fixiert das Gegenüber halbwegs scharf und schiebt das Becken grinsend nach vorn. Wir sind hier nicht im Damenstift. Schön, dass Seeed neben Paper Planes von M.I.A. auch die Solohits Schwarz zu Blau und Alles neu von Peter Fox vortragen. Ist ja schließlich irgendwie sein Kollektiv.    (Christian Schachinger, DER STANDARD, 23.11.2012)