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Globuli oder Tabletten: Hinter den Mitteln gegen Krankheiten verbergen sich oft auch widerstreitende politische Ansichten.

Die Aufregung in den deutschen Medien war programmiert. Die Homöopathie-Lüge - So gefährlich ist die Lehre von den weißen Kügelchen (Piper-Verlag) heißt ein neuer Buchtitel, verfasst von der Stern-Journalistin Nicole Heißmann und dem Biologen Christian Weymayr, der eine alte Diskussion wieder hochkochen lässt. "Schulmedizin gegen Homöopathie" lautet das Match, und es wird auf mehreren Ebenen ausgefochten. Am vergangenen Wochenende konnten sich Studierende der Med-Uni Wien am Symposium "Nicht Glauben, sondern Wissen(schaft)" im Hörsaal 3 des Wiener AKH einen Eindruck über die Vielschichtigkeit der Auseinandersetzung machen.

Dass hier Weltanschauungen aufeinanderprallen, war den Teilnehmern vom ersten Vortrag an klar. "Ich bin hier, um mir ein Bild über Homöopathie zu machen, man weiß zu wenig davon", meinte eine junge Studierende, um dann in den Diskurs um wissenschaftliche Methodik, menschliche Wahrnehmungskapazität und die unterschiedlichen Schlussfolgerungen daraus einzutauchen.

Darüber, dass Homöopathen forschen, ihre Beobachtungen systematisieren und an andere weitergeben, besteht kein Zweifel. In seinem Einführungsvortrag präsentierte der Allgemeinmediziner und Homöopath Fritz Dellmour die Datenlage. 705 Studien an Menschen, 302 Studien der Veterinärmedizin und 1750 experimentelle Studien sind in den Datenbanken erfasst. Homöopathen organisieren Weiterbildungsveranstaltungen, publizieren. Zu den großen Handicaps zählt der Mangel an finanziellen Ressourcen, die ihnen dabei zur Verfügung stehen.

Warum sich Homöopathen und Schulmediziner so gar nicht verstehen, liegt in der unterschiedlichen wissenschaftlichen Methodik begründet. Für die Schulmedizin gelten allein statistische Mittelwerte, die in aufwändigen, placebokontrollierten Studien gewonnen werden. Evidenzbasierte Medizin ist der Schlüsselbegriff. Untersucht werden - im Hinblick auf Eindeutigkeit - monokausale Zusammenhänge: Ein Wirkstoff führt zu einer erwünschten Wirkung, das ist das Ziel.

Allein schon, dass die Homöopathen Wirkstoffe in so stark verdünnter Form einsetzen, dass sie nicht mehr nachweisbar sind, bringt die Skeptiker in Rage, abgesehen davon lassen Schulmediziner aber auch die vielen Einzelbeobachtungen in der Homöopathie nicht als Beweis für eine Wirksamkeit gelten.

Jagd auf Evidenz

"Eine gewisse klinische Wirksamkeit der Homöopathie ist unumstritten", stellte Klaus Linde von der Technischen Universität München klar. Der Mediziner und Epidemiologe befasst sich seit vielen Jahren mit der Effektivität von naturheilkundlichen Methoden und ihrer Nachweisbarkeit. Mit dem Placeboeffekt hat er sich ausführlich auseinandergesetzt. Genau darin - nämlich in der ausführlichen Anamnese und Betreuung durch einen homöopathischen Arzt - vermutet die Schulmedizin nämlich auch die Wirkung, und nicht in den weißen Kügelchen. Im etablierten System der Schulmedizin wird Ärzten die Zeit für Patienten nicht mehr gezahlt. Jedenfalls ortet Linde vier große Gruppen von Akteuren in der Diskussion: Neben den orthodoxen Befürwortern beider Lager gebe es zunehmend auch solche mit einer Restunsicherheit, die sich der jeweilige Gegenseite nicht vollkommen verschließen.

Michael Frass, Intensivmediziner an der Med-Uni Wien, ist einer von ihnen. Er präsentierte eine Studie, in der er zeigen konnte, dass eine zusätzliche Behandlung mit homöopathischen Medikamenten die Überlebenschancen von Patienten mit schwerer Sepsis um 25 Prozent erhöhte. Die Patienten waren bewusstlos, was den Placebo-Effekt relativiert, präzisierte er, doch "die Grenzen zwischen konventioneller und homöopathischer Medizin sind zu beachten", betonte er und plädierte für eine ausgewogene, keinesfalls fanatische Homöopathie.

Eine differenzierte Betrachtung ist auch das Credo am Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Berliner Universitätsklinik Charité, wo man Wert auf Methodenpluralität legt und neben placebokontrollierten Studien auch Outcome- und Versorgungsforschung anwendet, die die Wirklichkeit in der alltäglichen Versorgung in Arztpraxen widerspiegelt. "Wer definiert, was Wissen ist und was als Wirklichkeit betrachtet wird?" fragte Michael Teut die Studierenden im Auditorium des Wiener AKH. Teut ist Schulmediziner, definiert sich aber als offen für andere Denkkonstrukte. Konkret stellte er in Wien eine vergleichende Beobachtungsstudie zur Effektivität der Therapie von Atopischer Dermatitis bei Kindern vor: zwischen Homöopathie und Schulmedizin gab es, was die Ergebnisse betrifft, kaum Unterschiede.

Frage der Kosten

"Homöopathie innerhalb der gesetzlichen Krankenkassen ist kostengünstiger", berichtete Homöopath Klaus von Ammon von der Universität Bern. In der Schweiz gibt es Homöopathie auf Krankenschein, zwischen 1999 und 2006, zeigen Studien, hat diese komplementäre Behandlungsform nur 0,5 Promille der Gesundheitskosten ausgemacht. Homöopathische Hausärzte arbeiteten zudem um 15 Prozent kostengünstiger als ihre Kollegen. Ob sich Homöopathie für alle Krankheiten eignet? "Nein, bei Krebs oder operativ zu lösenden Problemen nicht, aber in der Kinderheilkunde, bei Allergien und Hautproblemen erzielen wir gute Ergebnisse", so Ammon.

Klaus Linde thematisierte auch die weltanschauliche Komponente: "Wer grün wählt, geht lieber zum Homöopathen", sagt er, das sei Faktum. Die Schulmediziner wiederum treten an, um die hehre Wissenschaft gegen Andersdenkende zu verteidigen. Insofern ist der Disput politisch und wird - vielleicht auch zu Ungunsten von Patienten - weitergehen. (Karin Pollack, DER STANDARD, 26.11.2012)