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Wo beginnt Tierquälerei und wo endet religiöse Selbstbestimmung? Wie schwierig es dabei ist, eine Grenze zu ziehen, zeigten die Diskussionen im Rahmen einer Ringvorlesung an der VetMed Wien. Veterinärmediziner, Theologen, Philosophen und Juristen besprachen aktuelle Themen wie Schächten, Tierquälerei oder Tierversuche. Auch speziellere Bereiche wie Qualzuchten, Animal Hording oder Zoophilie wurden beleuchtet. "Wir legen außerdem Wert darauf, dass Vertreter der Weltreligionen zu Wort kommen", erklärt Mitherausgeberin Edith Riether. Sie ist Präsidentin der Initiative Weltethos Österreich. Der Sammelband der Ringvorlesung wird nun im Rahmen einer Podiumsdiskussion präsentiert.

Ethik und Sicht der Weltreligionen verbinden

Die Vortragsreihen, die auch schon an der TU Wien, der Uni Wien oder der Juridischen Fakultät stattgefunden haben, werden vom Verein Weltethos veranstaltet. Innerhalb eines Semesters sollen ethische Fragen und die Sicht der Weltreligionen diskutiert werden. Das soll die Studierenden auf ethische Probleme aufmerksam machen, die sie im Berufsleben antreffen werden.

"Religionen haben über Jahrtausende die Menschen geprägt", berichtet Riether. Daher liege es nahe, dass sie auch unsere Beziehung zu Tieren beeinflusst haben. Sie ergänzt: "Beim modernen Menschen kommt noch dazu, dass er auf die religiösen Hintergründe vergisst und das Tier nur noch als Produktionsmittel betrachtet, aus dem er so viel Gewinn wie möglich heraus schinden kann."

Diskussion rund um das Thema Schächten

Der Vertreter des Hinduismus hatte es in der jeweils anschließenden Diskussion zu den Vorträgen einfacher, da Mensch und Tier generell als göttlich betrachtet werden. Auch im Buddhismus gilt eine Ethik für alle fühlenden Wesen. Die lebhafteste Diskussion entstand erwartungsgemäß rund um das Thema Schächten. Dabei soll das Tier durch einen einzigen Schnitt an der Halsunterseite ausbluten. Denn der Verzehr von Blut ist sowohl im Judentum als auch im Islam verboten. "Hier wurde um Sekunden gestritten, wann der Tod der Tiere bei der Schlachtung eintritt", berichtet Riether.

Viele andere Aspekte des islamischen Glaubens im Bereich Tierethik werden aber in der öffentlichen Debatte geflissentlich ausgeblendet. Dabei würden genau diese Bereich zeigen, dass der Islam trotz der Praktik des Schächtens eine rücksichtsvolle Einstellung zum Tier hat. So wird im Islam die Unfehlbarkeit Allahs zum Beispiel mit der Schönheit der Tiere dargestellt. Im Koran stößt der Leser wiederholt auf positive Tiergeschichten oder Beispiele mit Tieren. Die Kuh, das Vieh, die Biene, die Spinne, die Ameise oder der Elefant sind Namen von Suren, den Abschnitten der heiligen Schrift der Muslime. Laut Koran ist es außerdem verboten, ein Tier vor den Augen eines anderen Tieres zu töten.

Doch auch im Koran hat der Mensch dem Tier gegenüber nicht nur Verantwortung, sondern auch Privilegien. Den Menschen ist erlaubt, Nutztiere zu halten, diese für ihr Wohl und den Transport zu gebrauchen und auch manche Arten von Tieren zu verzehren. "Die Verantwortung liegt darin, für das Wohl der Tiere zu sorgen. Es gehört auf keinen Fall zu den Vorrechten des Menschen, Gottes Geschöpfe körperlich zu misshandeln", ergänzt Tarafa Baghajati, Obmann der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen, in seinem Artikel. Jede Verfehlung gegenüber Tieren gelte als ebensolche gegenüber Allah.

Christentum und Stellung der Tiere

In christlichen Schriften und Überlieferungen ist hingegen nur wenig über Tierethik zu finden. Als sekundäre Quellen ist etwa Franz von Assisi am bekanntesten. Tiere werden oftmals als negative Metaphern oder Symbole verwendet. Berühmtes Beispiel ist die Schlange, die Adam und Eva zum Essen des verbotenen Apfels verleitete und damit den Rauswurf aus dem Paradies provozierte.

Die meisten Kleriker, Theologen und Gläubige seien heute unbekümmerte Fleischesser, die das immense tierische Leid in industriellen Tierfabriken ignorieren oder verdrängen, schreibt der römisch-katholischer Theologe Kurt Remele in seinem Beitrag. Bedeutende Theologen wie etwas Thomas von Aquin waren davon überzeugt, dass Gott die Tiere für die Menschen geschaffen und zu ihrem Gebrauch bestimmt hat. Das impliziert, dass sie nach Belieben getötet werden können.

Die heutige biblische Exegese und kirchenamtlichen Erklärungen widersprechen dieser Ansicht teilweise, wie auch Riether betont. Sie hat nach ihrer Karriere als Dolmetscherin im österreichischen Parlament in der Pension Theologie studiert. "Der Aspekt 'Untertan machen' stimmt so nicht", sagt sie. Der Herrschaftsauftrag rechtfertige keineswegs Unterdrückung, Ausbeutung und Verwüstung. Vielmehr sei damit gemeint, dass der Mensch die Tiere umsorgen und hegen soll. "Er soll Verantwortung gegenüber der restlichen Schöpfung Gottes übernehmen", erklärt Riether.

Qualzucht für die "Schönheit"

Die besprochenen Themen kreisten eher um den Bereich Massentierhaltung, Schlachtung und Fleischverzehr. Doch nicht nur in der Fleischproduktion gebe es Missstände, wie Irene Sommerfeld-Stur mit ihrem Vortrag zeigte: "Selbst dort, wo Tiere definitionsgemäß als 'Companion Animals', also als Gefährten der Menschen gehalten werden, sind sie fast noch mehr als im reinen Nutztierbereich der menschlichen Willkür ausgesetzt." Sommerfeld-Stur beschreibt die gesundheitlichen Auswirkungen: Taubheit, Blindheit, Atemnot, Missbildung der Schädeldecke, chronische Entzündungen der Haut.

Ein Beispiel ist der Dackel, der ursprünglich gezüchtet wurde, um auf der Jagd in Fuchs-, Dachs- oder Kaninchenbauten schlüpfen zu können. Die kurzen, kräftigen Beine und der geringe Brustumfang ermöglichten das. Doch die anatomische Veränderung beruht auf einer Defektmutation, oft kommt es daher zu gesundheitlichen Problemen. Die Rasse ist wegen einer Veränderung des Knorpelstoffwechsels besonders anfällig für Erkrankungen der Bandscheibe.

Doch nicht nur Zuchthunde können betroffen sein: Auch manche Pferde leiden unter einer chronischen Gelenkserkrankung. Sogar Zierfische sind Opfer von menschlichen Züchtungen. Die Löwenkopfvarianten bei den Goldfischen sind aufgrund einer erhöhten Neigung zu Hauterkrankungen als qualzuchtrelevant anzusehen, schreibt die Autorin in ihrem Beitrag.

Das österreichische Tierschutzgesetz setzt bei der Definition der verbotenen Qualzuchten nicht mehr an Merkmalen der Rassen an, sondern an den klinischen Symptomen der betroffenen Tiere. Das Ziel ist also nicht mehr das Verbot bestimmter Rassen, sondern die Vermeidung von Extremvarianten. (Julia Schilly, derStandard.at, 27.11.2012)