Wien - Die Abschaffung des 20-prozentigen Selbstbehaltes beim Arztbesuch für Selbstständige fordert ein überparteiliches Aktionskomitee, zu dem sich Wirtschaftsvertreter von SPÖ und Grünen, die Wiener Ärztekammer sowie Vertreter von Ein-Personen-Unternehmen zusammengefunden haben. Mit Straßenaktionen, Betriebsbesuchen und anderen Veranstaltungen sollen in den nächsten Monaten zunächst in Wien mindestens 10.000 Unterschriften gesammelt werden, um der Forderung Nachdruck zu verleihen und auch die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) und den ÖVP-Wirtschaftsbund zu überzeugen.

"Soziale Ungerechtigkeit"

Der Initiator und Gründer des Aktionskomitees, der Präsident des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes Wien, Fritz Strobl, bezeichnete den Selbstbehalt als "soziale Ungerechtigkeit" und eine "Strafe fürs Kranksein". Er verwies darauf, dass es in Österreich etwa 450.000 Selbstständige und allein in Wien rund 100.000 aktive Kammermitglieder gibt, wovon 60.000 EPUs besonders stark davon betroffen seien. Viele dieser Personen könnten sich den Selbstbehalt beim Arztbesuch einfach nicht leisten und würden deshalb oft trotz Krankheit keine medizinische Hilfe in Anspruch nehmen.

Auch der Vorsitzende der Grünen Wirtschaft Wien, Hans Arsenovic, verwies darauf, dass Selbstständige im Schnitt nur dreimal pro Jahr zum Arzt gehen, andere Versicherte hingegen fünfmal. "Der Arztbesuch darf nicht am Geld scheitern." Arsenovic machte die SVA für mehr als die Hälfte aller Konkurse verantwortlich. Jeder fünfte Versicherte werde von der SVA wegen ausstehender Beiträge gemahnt, jeder zehnte exekutiert.

Selbstbehalt als Belastung

Der Wiener Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres betonte den Zusammenhang zwischen Wohlstand und Gesundheit. Der Gesundheitszustand und die Lebenserwartungen korrelieren mit dem Einkommen und den Wohnverhältnissen. So sei in ärmeren Wiener Bezirken die Lebenserwartung geringer als in Nobelbezirken. Vor allem für chronisch Kranke könne der Selbstbehalt zu einer echten Belastung werden, meinte Szekres, der forderte, dass medizinische Leistungen für alle Patienten erschwinglich sein müssten.

Margit Gugitscher, Ein-Personen-Unternehmerin und Vertreterin der Facebook-Gruppe Amici delle SVA, beklagte, dass die EPUs unabhängig davon, ob sie etwas verdienen, die vollen SVA-Beiträge zahlen müssen. Gemeinsam mit dem Selbstbehalt werde damit die prekäre Lage vieler EPUs noch verschärft.

Die SVA nimmt nach Angaben des Aktionskomitees über den Selbsthalt jährlich rund 50 Millionen Euro ein. Eine Abschaffung des Selbstbehaltes könnte ihrer Ansicht nach über eine Aufhebung der Höchstbeitragsgrundlage finanziert werden, womit gut verdienende Selbstständige mehr an Beiträgen zahlen müssten. Gleichzeitig fordert das Aktionskomitee aber auch eine Abschaffung der Mindestbeiträge. (APA, 26.11.2012)