Helmuth Stöber, Studienleiter von "Career's Best Recruiters": "Recruitingqualität entscheidet mehr als alles andere über den Unternehmenserfolg."

Foto: Careers Best Recruiters

Das Recruitingniveau von Österreichs 500 größten Unternehmen steht bei der Studie "Career's Best Recruiters" auf dem Prüfstand, aufgeschlüsselt nach Branchen und Kriterien wie etwa "Umgang mit Bewerbungen". Faktoren im Recruitingprozess, die Firmen nach wie vor vernachlässigen, wie Studienleiter Helmuth Stöber kritisiert. Im Interview mit derStandard.at analysiert er die Ergebnisse der Studie.

derStandard.at: 70 Prozent der Firmen reagieren laut Ihrer Studie auf Initiativbewerbungen. Ist das ein guter Wert?

Stöber: Noch nicht, denn jeder Bewerber verdient eine Antwort. Eine Reaktion innerhalb von zwei Wochen muss einfach erfolgen. Der wertschätzende Umgang hat sich schon verbessert, aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Hinter jeder geschriebenen Initiativbewerbung stecken Interessen am Arbeitgeber selbst und erheblicher Aufwand. Diesen Einsatz nicht zu honorieren, macht schlechte Stimmung gegen die Marke – und kann auch viele Anstrengungen, die Top-Recruiting ausmachen, zunichte machen.

derStandard.at: Im vorigen Jahr lag dieser Wert, also Antworten auf Initiativbewerbungen, bei nur 50 Prozent. Woher rührt diese Verbesserung?

Stöber: Die österreichischen Recruiting-Profis handeln rasch. Unsere Studie ist sehr streng. Die Frist von einer Woche aus den Vorjahren war jedoch zu streng. Das hat sogar die Deutschen ins Schwitzen gebracht. Jetzt geben wir zwei Wochen Zeit. Aber auch um diese Anpassung bereinigt, haben sich die Rückmeldungen signifikant verbessert.

derStandard.at: Schneiden Österreichs Unternehmen im internationalen Vergleich gut ab?

Stöber: Die Erhebung in Deutschland läuft zwar derzeit noch. Was ich schon jetzt sagen kann, ist, dass sich die österreichischen Recruiter weiter gesteigert haben und heuer das deutsche Vorjahresniveau erreichen können. Deutsche Top-Arbeitgeber erzielten letztes Jahr bessere Ergebnisse als die Top-Österreicher. Sie antworteten öfter und schneller, österreichische Arbeitgeber dafür viel persönlicher. Vielleicht landestypisch: weniger System – mehr Charme.

derStandard.at: Nehmen sich Unternehmen die Kritik zu Herzen bzw. ist ihnen schon in ausreichendem Maße bewusst, dass ihnen eine Ignoranz auf den Kopf fallen kann im Kampf um gute Mitarbeiter?

Stöber: Die Situation ist paradox: Unternehmen betreiben mehr Hochschulmarketing denn je und springen kreative Recruiting-Salti im Wettlauf um die Besten. Und dann bleiben Initiativbewerbungen liegen oder werden erst überhaupt gar nicht ermöglicht. Die gute Nachricht ist, dass unsere Recruitingstudie wirkt. Jene Unternehmen, die unseren Optimierungsbericht nutzen, konnten sich um 21 Prozentpunkte steigern.

derStandard.at: Sind Reaktionen auf Bewerbungen eine Frage der Ressourcen? Und manche HR-Abteilungen können das einfach nicht stemmen?

Stöber: Natürlich. Die Allermeisten wissen ganz genau, was guten Stil ausmacht, aber bekommen die nötigen Ressourcen nicht genehmigt oder scheitern an überholten, internen Prozessen. Es gibt aber keine Alternative zur raschen und guten Reaktion. Manche Vorfilter grenzen sinnvoll ein. Und sonst gilt: Bereits einen Tag zu spät kann die oder der Beste bereits beim Mitbewerber gelandet sein.

derStandard.at: Immerhin werden 60 Prozent der Bewerbungen "individuell" beantwortet. Wie definieren Sie "individuell"?

Stöber: Wir versenden jährlich 4.000 Bewerbungen an österreichische und deutsche Arbeitgeber und sind bereits im dritten Studienjahrgang von Career's Best Recruiters. Die Schreiben sind recht gefinkelt. So erkennt das Studienteam sofort, ob der Arbeitgeber auf den Bewerber eingeht. Jene Recruiter, die sich auf eine Bewerbung rückmelden, machen das überwiegend wirklich ok.

derStandard.at: Was sollte das absolute Minimum an respektvollem Umgang mit Bewerbern sein?

Stöber: Jede Bewerbung verdient eine Antwort in einer angemessenen Zeit. Das klappt noch nicht. Und diese Antworten sollen individuell und müssen korrekt sein; unabhängig von Alter, Geschlecht, Bildungs- oder Kulturhintergrund.

derStandard.at: Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede beim Rücklauf und Unterschiede bei Bewerbern, die über einen sogenannten Migrationshintergrund verfügen?

Stöber: Nein, das funktioniert gut. Ein Vergleich der Resonanz auf die verschiedenen Bewerbungen zeigt das über alle drei Studienjahrgänge ganz klar.

derStandard.at: Überrascht Sie das? Eine Studie aus Deutschland hat beispielsweise Diskriminierungen aufgrund des Namens von Bewerbern zutage befördert?

Stöber: Wir untersuchen bis zur Einladung zu einem Termin oder einer vorzeitigen Absage. Was eventuell danach passiert, können wir in dieser Breite nicht erheben. Natürlich darf es in keiner Phase des Bewerbungsprozesses systematische Ungleichbehandlungen geben. In unserem Verfahren setzen wir auch bewusst Migrantennamen ein und erkennen in den Ergebnissen weder in Deutschland noch in Österreich Diskriminierungen.

derStandard.at: Reagieren Branchen, die mit einem Arbeitskräftemangel konfrontiert sind, tendenziell eher auf Bewerbungen?

Stöber: Teils, teils: Chemie punktet in vielen Kategorien sehr gut. Diese Branche steuert schon lange sehr professionell gegen den Fachkräftemangel. IT antwortet nun schon fast jedem und das schnell – lässt aber noch durch zu plumpe Automaten-Texte Recruitingchancen liegen. Andere Branchen mit Fachkräftemangel wie Bau/Holz, Anlagen-/Maschinenbau oder Metall holen zwar im Vergleich zum Vorjahr auf. Sie könnten mit Top-Recruiting ihre Nachfrageprobleme zwar nicht lösen, aber lindern.

derStandard.at: Haben Sie eine Erklärung, warum es so große Unterschiede zwischen den Branchen gibt? Von 88 Prozent Antworten bei Unternehmensberatungen bis zu nur 47 Prozent bei KFZ-Handel/-Service?

Stöber: Sie sprechen ein Teilergebnis an – und zwar ob reagiert wird oder nicht. Das Branchenbild aus allen 55 Kriterien hat eine ähnliche Spreizung – und wieder mit den Beratern vorne sowie dem KFZ-Handel und dem Großhandel als Schlusslichter. Je größer der Recruiting-Leidensdruck ist, desto eher springt der Recruiting-Motor an. Ganz egal ob dieser Leidensdruck von imagebedingter Bewerberflut, Fachkräftemangel, Konzern-Politik, Fluktuationslatenz oder Wettbewerbsdruck induziert ist. Top-Recruiting lässt das Leiden allerdings erst gar nicht zu. Das interne Match lautet derzeit noch Vorsorgeexzellenz gegen Reparaturmanagement. Unsere Aufgabe ist es, die Vorsorgespezialisten zu stärken, denn Recruitingqualität entscheidet mehr als alles andere über den Unternehmenserfolg. (Oliver Mark, derStandard.at, 27.11.2012)