Viel Kitsch, Sex, Eifersucht und Macht im Topkapi. Süleyman der Prächtige (Mi., dargestellt von Halit Ergenç) ist der orthodoxen Haremsdame Hürrem (Meryem Uzerli, ganz rechts) verfallen.

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Marina und Leja finden die Kleider toll und die Musik. Obwohl manches nicht so ganz realistisch sei, meint Leja. In der letzten Folge von "Süleyman der Prächtige" etwa sei eine bosnische Sängerin aufgetaucht im Palast des Sultans. "Sie hat Bosnisch gesungen, aber das ziemlich falsch. Das ist aber schon verständlich, dass türkische Schauspielerinnen nicht richtig Bosnisch können", räumt die 15-jährige Zagreberin ein.

In Kroatien wird die Soapopera "Süleyman der Prächtige" original mit Untertiteln gezeigt. "Bei uns lernen jetzt einige Buben Türkisch, weil das schick geworden ist", erklärt Marina. Sie selbst und ihre Freundinnen hätten nun ein "völlig anderes Bild vom Osmanischen Reich". "Wir haben ja in der Schule nur gelernt, dass die alles bei uns zerstört haben. Aber wir haben ja nicht gewusst, was das für eine Kultur ist", sagt Marina.

Jeden Tag um neun Uhr am Abend versammeln sich kroatische Familien, von der Oma bis zu den Enkerln, um "Muhtesem Yüzyil" zu schauen, eine türkische TV-Serie über das Leben und Wirken des am längsten regierenden Sultans des Osmanischen Reichs (1520-1566). Die Soap, der man auch ohne Türkischkenntnisse folgen kann, dreht sich um die Haremsdame Hürrem, eine rothaarige Ukrainerin, die Süleyman um den Finger wickelt, korrupte Wesire, Intrigen im Topkapi-Palast in Istanbul, das Verhältnis zu Rom, Venetien und Wien. Die Soap ist auf dem gesamten Balkan ein Gassenfeger. In Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Griechenland, im Kosovo, in Mazedonien und Montenegro wie in Rumänien und Serbien sind die Einschaltquoten sensationell.

Viele identifizieren sich offenbar mit dem Macho-Sultan und der orthodoxen Haremsdame. Manche stellen sogar das Narrativ vom jahrhundertelangen "türkischen Joch", das die Region von Entwicklung abgehalten habe, infrage. "Süleyman-Schauen hat auch für Männer höchste Priorität", erzählt die mazedonische Kulturwissenschafterin Elizabeta Šeleva, die sich darüber wundert, dass ihr Vater täglich dem Harems-Gossip entgegenzittert.

Bewunderung für Imperium

"Hier findet eine freiwillige Rückverbindung der exosmanischen Länder statt, die Leute fühlen sich solidarisch darin, das ehemalige Imperium zu bewundern", erklärt Seleva den Kult. Zudem seien Hürrem oder Ibrahim, der beste Freund des Sultan, keine Türken, sondern repräsentierten Kosmopolitismus. "Viele Episoden drehen sich außerdem um Verhandlungen mit Westeuropa, mit Italien, mit Österreich, etwa. Diese Europäer werden aber im Film als unterlegen, unzivilisierter und unglaubwürdiger als die Osmanen dargestellt", so Seleva. "Das ist eine Strategie, um eigene kulturelle Überlegenheit zu zeigen." Jene Südosteuropäer, die heute resigniert im EU-Warteraum sitzen, könnten über die Serie in einem " anderen makrokulturellen Kontext Legitimität suchen". Es gehe darum, zu einer anerkannten Zivilisation zu gehören. Der "erotische Exotismus" der Serie, der Glamour biete eine Möglichkeit zur Alltagsflucht.

Der Philosoph Damir Jurić aus Osijek erzählt, dass viele Kroaten von "Muhtesem Yüzyil" überrascht waren, weil die Osmanen bisher als "kulturell rückständig" galten. "Die Leute in der Region sind um Westeuropa gekreist, nun gibt es mehr, die unsere Position zwischen Berlin und Istanbul positiv sehen." In Osijek denkt man sogar daran, die 1566 unter Süleyman gebaute acht Kilometer lange Brücke wieder aufzubauen.

Doch nicht alle lieben Süleyman. So protestierten etwa serbische Nationalisten und griechische Popen gegen das "osmanische Sex in the City" (©New York Times). Bischof Anthimos meinte, türkische Soaps zu schauen sei wie Kapitulation. Der fromme türkische Premier Tayyip Erdogan forderte nun gar ein Gerichtsverfahren gegen das Prächtige Jahrhundert wegen Verletzung der "Werte unseres Volkes".

Für Historiker wie Markus Koller aus Bonn zeigt die Serie ein sehr orientalisiertes Bild vom Osmanischen Reich. Der Betrachter erfahre nur indirekt von den Eroberungen des Sultans, werde aber mit konkreten Folgen der Expansion in Südosteuropa nicht konfrontiert. "Dies dürfte auch ein Grund dafür sein, dass auf dem Balkan die Serie sehr beliebt ist." Gängige Osmanenbilder würden nicht hinterfragt, sagen Koller und die Islamwissenschafterin Armina Omerika: "Dafür fehlt der Serie die historische Tiefe." (Adelheid Wölfl aus Zagreb, DER STANDARD, 27.11.2012)