Ein offener Brief an Obmann Alfred Harl, Fachverband für Unternehmensberatung & IT der Wirtschaftskammer Österreich

Sehr geehrter Herr Harl!

Wie im Standard am 15.11.2012 zu lesen war, lassen Sie die Alarmglocken läuten: Sie warnen vor einem akuten Fachkräftemangel hierzulande in den Branchen Informationstechnologie und Telekommunikation (ITK) und behaupten, man habe eine lebenslange Jobgarantie, wenn man in die IT ginge.

Natürlich lässt sich aus Ihrer These nicht ein-zu-eins auf konkrete Einzelfälle schließen. Dennoch nahm ich Ihre Äußerung als Herausforderung an und kontaktierte umgehend knapp 50 Wiener ITK-Unternehmen bzw. von ihnen beauftragte Personaldienstleister, die momentan beim Arbeitsmarktservice registriert nach Mitarbeitern suchen.

In einer kurzen, formlosen Email unterbreitete ich den Betrieben den Vorschlag, für die Dauer meines Masterstudiums in Computerwissenschaften ein Dienstverhältnis einzugehen, das zwar freilich primär auf den jeweiligen Unternehmenszweck abzielt, aber dennoch auf die speziellen Anforderungen eines berufsbegleitendes Studiums Rücksicht nimmt.

Innerhalb der ersten Kalenderwoche nach Versand meiner Anfrage sahen sich neun Betriebe, also 19 Prozent oder einer von fünf, dazu veranlasst mir zu antworten. Davon sagten drei ausdrücklich ab, sechs ersuchten aufgrund administrativer Erfordernisse um mehr Zeit zur Bearbeitung der Anfrage. Kein einziges Unternehmen bekundete ernsthaftes Interesse an einer mehrjährigen Zusammenarbeit mit paralleler privater Hochschulausbildung!

Händeringendes Rekrutieren von Personal stelle ich mir anders vor. Von einer Branche, deren Unternehmen mitteleuropaweit nach eigenen Angaben tausende Stellen aufgrund von fehlenden qualifizierten Technikern nicht besetzen können und in wenigen Jahren mehr Ab- als Zugänge verzeichnen werden müssen, würde ich eigentlich weitaus mehr Willen zur Anwerbung von neuen Mitarbeitern erwarten.

Dass, wie in diesem Beispiel, arbeitsbereite Wirtschaftsakademiker, die eine IT-Weiterbildung anstreben und von sich aus bei möglichen Kooperationspartnern vorstellig werden, quasi "abgewimmelt" werden, erscheint mir angesichts Ihrer Aussagen über den prekären Arbeitskräftemangel schleierhaft und halte ich in Hinblick auf den beträchtlichen volkswirtschaftlichen Schaden, den entgangene Aufträge aufgrund zu geringer Personalressourcen verursachen, völlig inakzeptabel.

Vor diesem Hintergrund dürfte der von Ihnen strapazierte Begriff einer "lebenslangen Jobgarantie" in den Ohren vieler tausender Arbeitslose in Österreich, die nur zu gern eine Chance in der ITK erhalten und sogar die notwendigen Basisfähigkeiten mitbringen würden, aber in die die zahlreichen österreichischen ITK-Unternehmen aus kurzfristiger, eigennütziger Profitgier keinen Cent investieren wollen, zynisch und verhöhnend klingen.

Selbstverständlich vertreten Sie pflichtgemäß in erster Linie den Standpunkt Ihrer Mitglieder, also die Arbeitgeberseite. Aber angesichts der dramatischen Zuspitzung der Situation auf dem Arbeitsmarkt und den daraus resultierenden Verwerfungen im sozialen Gefüge in Europa, sind hierzulande alle Sozialpartner aufgerufen, gemeinsame Lösungen auszuarbeiten. Und ob solche Äußerungen angesichts der erläuterten Umstände hilfreich wirken, bezweifle ich.

Mein persönliches Interesse, beruflich in der ITK erwerbstätig zu werden, besteht übrigens nach wie vor.

Mit freundlichen Grüßen

Thomas Lindinger (Leserkommentar, derStandard.at, 27.11.2012)