In der Broschüre werden auch die Themen "Liebe und Zuneigung" thematisiert.

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Wien - "Als Ganzes sehr benutzerfreundlich und praktikabel" bewertet der Sozialpädagoge und Forschungskoordinator des Österreichischen Instituts für Familienforschung (ÖIF) an der Universität Wien, Olaf Kapella, die umstrittene Sexualerziehungsbroschüre "Ganz schön intim". "Da sind durchaus zeitgemäße, auf dem Stand der Wissenschaft befindliche und in der Präventionsarbeit vorgeschlagene Methodiken drin, die man auch umsetzen kann", so Kapella am Mittwoch. 

"Keine Broschüre für Kinder"

Kapella stellt klar, dass "Ganz schön intim" "keine Broschüre für Kinder ist, sondern ein Lehrbehelf für Pädagogen, die diese für ihre Arbeit verwenden": "Sie ist nicht dafür gedacht, dass man sie den Kindern in die Hand drückt, sondern für Pädagogen. Die haben die Entscheidung, was bringe ich ein und was nicht." In der Broschüre werde auch erklärt, dass sich die Lehrer jene Übungen heraussuchen sollen, bei denen man sich auch wirklich wohlfühle.

WHO-Standards

In einer internationalen Expertengruppe der Weltgesundheitsorganisation WHO, deren Mitglied er sei, seien Standards für Sexualerziehung entwickelt worden, so Kapella. Da greife die Broschüre "einige Aspekte auf, die uns wichtig waren". Dies sei einerseits, dass mit Sexualerziehung schon sehr früh begonnen werde - "und das in einer Haltung, wo die Vielfältigkeit der Lebensformen und sexuellen Orientierung gleichwertig dargestellt wird. Wir leben heute in einer ausdifferenzierten Gesellschaft, wo verschiedene Lebensformen mit und ohne Kinder existieren." Dies solle auch an die Kinder herangetragen werden.

Verbesserungsvorschläge für die Broschüre sieht Kapella etwa bei der Aufzählung, "wie Babys zu uns kommen". Dort sei beginnend mit Adoption "eher alphabetisch gereiht worden". Hier sei eventuell eine Priorisierung besser: "Man könnte das einleiten: 'Die meisten Kinder entstehen durch Geschlechtsverkehr, dann gibt es aber noch andere Wege.'" Andererseits wüssten das die Lehrer, an die sich die Broschüre ja richte, ohnehin.

Adaption bei Leihmutterschaft

Die einzig wirklich gebotene Adaption betreffe die Rechtslage in Sachen Leihmutterschaft und Samenbanken: "Da muss hinein, was in Österreich erlaubt ist und was verboten." Die Themen selbst sollten dagegen unbedingt weiter in der Broschüre bleiben. "Man kann ja nicht davon ausgehen, dass zwölfjährige Kinder solche Begriffe in den Medien nicht aufgreifen. Deshalb muss man es ihnen auch erklären - natürlich ist aber die Info nötig, was erlaubt ist und was nicht." Das Ministerium hat bereits angekündigt, bei der Thematik der Leihmutterschaft nachbessern zu wollen (derStandard.at berichtete).

"Pädagogen nicht unterschätzen"

Ganz generell plädiert Kapella dafür, die Pädagogen nicht zu unterschätzen: "Wir müssen aufhören zu glauben, dass die Lehrer das nicht können. Es gibt ja viele Fragen, die immer wieder auftauchen wie 'Warum stirbt ein Kind?' oder 'Warum ist ein Kind im Rollstuhl?'". Die Lehrer wissen durchaus zu selektieren, was zu viel ist für ein Kind."

Andererseits würden die Pädagogen in jungen Jahren kaum in Sachen Sexualpädagogik ausgebildet, so Kapella: "Lehrer werden oft allein gelassen mit den Fragen der Kinder zu diesen Themen - die kommen ja, ob mit oder ohne Broschüre." Deshalb seien praktikable Handreichungen wie "Ganz schön intim" auch so wichtig. Die Lehrer müssten aber selbst überlegen, was sie wie kindgerecht anbieten: "Sechs bis zwölf Jahre ist ja eine große Altersspanne." Deshalb sollten gewisse Themen immer wieder auftauchen und je nach Entwicklungsstand unterschiedlich bearbeitet werden - also zuerst die generelle Info über ein Thema, das dann in den nächsten Jahren differenzierter dargestellt wird.

Grüne kritisieren ÖVP

Die Grünen kritisieren in Reaktion auf die Debatte um die  Aufklärungsbroschüre vor allem die ÖVP scharf. Der schwarze Bildungssprecher Werner Amon hatte mit seiner Kritik in einer parlamentarischen Anfrage den Wirbel um die Broschüre ins Rollen gebracht. "Ich weiß nicht, ob Amon weiß, vor welchen Wagen er sich hier spannen lässt", sagt der Grüne Bildungssprecher Harald Walser im Gespräch mit derStandard.at.

Der Elternprotest gehe eigentliche nur von einer Frau aus, nämlich von Gudrun Kugler, so Walser. Die bekennende Abtreibungsgegnerin käme aus Kreisen von "fundamentalen Katholiken". Amon mache sich mit seinem Protest gegen die Broschüre zum "Sprachrohr konservativer Kreise", so Walser. Für "unerträglich" hält der grüne Abgeordnete außerdem, dass man den Lehrern und Lehrerinnen, an die die Unterlage gerichtet sei, nicht zutraue, selbst entscheiden zu können, welche Inhalte sie bringen.

Familienbund: Material einziehen

Weitere Kritik an der Broschüre kam am Mittwoch vom Österreichischen Familienbund. Familienbundpräsident Bernhard Baier bezeichnete die Unterlage für Pädagogen und Pädagoginnen als "zu wenig altersdifferenziert und viel zu ideologisch". Baier fordert sogar, dass die Materialen eingezogen und neu erarbeitet werden. "Wir haben uns die Zeit genommen, die Materialien zu analysieren und werden die verantwortliche Unterrichtsministerin Schmied über die problematischen Passagen und Übungen informieren und sie auffordern, diese umgehend einzuziehen und zu ersetzen", so der Chef des Familienbundes. Es sei "vollkommen unverständlich" warum der Familienbund als Vertretung von Eltern nicht in die Erstellung solcher Unterlagen nicht einbezogen werde. (APA/red, derStandard.at, 28.11.2012)