Kräftespiel in der Familie: Lars Eidinger (li.) und Sebastian Zimmler in " Was bleibt".

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Wien - Familie ist Schicksal. Das ist eine alte Einsicht, gegen die unzählige Epen der Emanzipation, des Aufbegehrens, des Fortgehens geschrieben wurden. Doch auch im Erzählen kommen wir immer wieder auf die ersten Tatsachen zurück: Was machen Mutter und Vater? Wie verhalten wir uns dazu? Und was bleibt, wenn man das Schicksal abzieht? Vielleicht doch ein Moment Freiheit?

Das sind die Fragen, die Hans-Christian Schmid in seinem neuen Film geradezu programmatisch beschäftigen. Was bleibt erzählt von einer denkwürdigen Familienzusammenkunft. Es gibt einen Anlass dafür, den der imposante und dominante Vater Günther (Ernst Stötzner) gibt. Er hat einen gut gehenden Verlag verkauft, nun wird er sich in Ruhe dem Studium altorientalischer Manuskripte widmen können.

Marko (Lars Eidinger) kommt mit dem kleinen Sohn aus Berlin; dass seine Beziehung zu der Mutter von Zowie gescheitert ist, verschweigt er vorerst. Jakob hat in dem Ort in Westdeutschland, in dem das Haus der Eltern steht, eine Praxis als Zahnarzt eröffnet. Sie geht schlecht, er hat finanzielle Probleme, seine Freundin Ella hält zu ihm, aber auch für sie ist es nicht leicht, dem abweisenden Jakob zur Seite zu stehen.

Beim bewusst formlosen, dabei doch ein wenig feierlichen Abendessen ist es die Mutter Gitte (Corinna Harfouch), die den stärksten Akzent setzt. Sie verkündet, dass sie ihre Medikamente abgesetzt hat, nach dreißig Jahren der Behandlung fühlt sie sich stark genug, auf Psychopharmaka verzichten zu können. Und nur die Anwesenden wissen in diesem Moment wirklich und genau, welche Risiken damit einhergehen. Das ohnehin fragile Gebilde dieser Familie, deren Söhne jeweils als Kompromissbildungen zwischen einer allzu starken Vaterfigur und einer gefährdeten Mutterfigur erscheinen müssen, gerät vollends aus dem Lot.

Der Film verliert dabei allerdings keine Sekunde sein Gleichmaß, sondern bleibt - und man kann den Regisseur Hans-Christian Schmid dabei bestens als anwesende Person im Raum dazudenken - der aufmerksame, intelligente, abwägende Beobachter, der Details sammelt, weil er verstehen will. Bernd Lange hat ein Drehbuch geschrieben, von dem man gemeinhin sagt, dass es guten Schauspielern den gebührenden Raum gibt - ein Euphemismus dafür, dass im dramatischen Sinne wenig geschieht; viel weniger als etwa in dem europäischen Referenzfilm Das Fest von Thomas Vinterberg, zu dem Hans-Christian Schmid den gebührenden Abstand hält, und auf den er doch als eine deutsche Antwort gesehen werden muss.

Bewusste Selbstbeschränkung

Sehnsucht nach Spontaneität, Wissen um geteilte Codes, gequälte Ironie und gebändigte Freiheit im Spiel gehen dabei ständig ineinander über. Was bleibt setzt nicht auf die auffällige Geste (schon gar nicht auf die filmische), sondern auf die Kleinigkeiten, in denen sich für moderne Menschen das Schicksal erfüllt (oder eben gerade nicht). Als Marko schließlich eine Nacht im Wald verbringen muss, wirkt die Szene mit ihrem ungewissen Realitätsstatus wie ein Versuch, die bewusste Selbstbeschränkung der Dramaturgie zu transzendieren.

Dass Was bleibt im deutschen Film eher eine Ausnahme als ein Normalfall ist, sagt sehr viel über die Irrwege der Subventionspolitik mit ihrem ständigen Suchen nach großen Stoffen. In Frankreich könnte man aus dem Stand zehn Regisseure nennen (von Assayas bis Desplechin), die zumindest immer wieder solche Geschichten erzählen.

Hans-Christian Schmid hingegen scheint beinahe der einzige Regisseur in Deutschland zu sein, der das tut, und der das so tut, wie es der Gesellschaft angemessen ist, von der er erzählt: mit den Mitteln einer diskreten Modernität, die sich nach anderen Formen sehnt, aber zu viel Bewusstsein hat, um sich ihnen leichthin zu überlassen. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 29.11.2012)