STANDARD: Was stört Sie persönlich mehr: Wenn jemand mit Kopfhörern in der Straßenbahn oder in der U-Bahn laustark Musik hört oder wenn Sie vor Ihrer Wohnung nicht gegrüßt werden?
Frauenberger: Ich habe einen 15-jährigen Sohn. Diese Kopfhörer-Thematik kann mich nicht aus der Ruhe bringen.
STANDARD: Ein Ergebnis der Charta ist, dass den Wienern höfliche Umgangsformen im Alltag wichtig sind. Glauben Sie, dass sich das in den letzten Jahren verändert hat?
Frauenberger: Die Charta hat die Menschen dazu gebracht, sich hinzusetzen und sich zu überlegen, was die Basics für gutes Zusammenleben sind. Wenn man das angesprochen hat, haben alle in der Runde gesagt: Stimmt! Ich denke, das ist den Wienern wichtig, weil es ein Einstieg ist ins gute Zusammenleben.
STANDARD: Haben Sie die Ergebnisse der Charta überrascht?
Frauenberger: Selbst sehr heterogene Gruppen haben einen Konsens zusammengebracht. Es waren Gespräche, die keinen Ergebnisdruck hatten. Das Gespräch selber war ja schon das Ergebnis. Teilweise sind dann aber konkrete Vereinbarungen entstanden.
STANDARD: Eine relativ konkrete Erkenntnis aus dem Charta-Prozess ist, dass den Wienern wichtig ist, eine gemeinsame Sprache zu haben. Sehen Sie das als Aufforderung, das Deutsch-Lern-Angebot zu erweitern?
Frauenberger: Wir machen das ohnehin ständig. In den Charta-Gruppen war man sich schnell einig, dass alle Deutsch können sollen, aber auch Mehrsprachigkeit war ein Thema. Wir haben bereits ein breites Angebot an Kursen, aber man muss es teilweise noch niederschwelliger gestalten - dort, wo Alphabetisierung ein Thema ist. Ich kenne keinen Migranten, der nicht glaubt, dass Deutsch wichtig ist. Eigentlich sind sich von der ÖVP über die FPÖ über die Roten bis zu den Grünen alle einig, dass Deutsch der Schlüssel zur Integration ist. Wirklich wichtig ist: Wir verschaffen wir den Leuten die Deutschkenntnisse? Und wie können wir Mehrsprachigkeit fördern?
STANDARD: Trotz des Konsens ist ja die Tonalität ziemlich unterschiedlich. Ist es für eine linke Stadtregierung eigentlich schwieriger, Deutschkenntnisse einzufordern, weil man eben nicht so klingen will wie die Rechten?
Frauenberger: Das fällt mir nicht schwer. Es geht ums gemeinsame Zusammenleben aller. Deutsch einzufordern ist keine Frage von links oder rechts.
STANDARD: Das Thema ist schon sehr stark punziert.
Frauenberger: Ja, weil man es nutzt, um populistische Phrasen zu dreschen. Gegen das sind wir vehement.
STANDARD: Sie betonen, die Charta sei nicht als Maßnahmenkatalog zu verstehen. Wie wollen Sie dennoch sicherstellen, dass der Prozess nachhaltig ist?
Frauenberger: Erstens haben wir viel darüber gelernt, wie man so etwas technisch aufsetzt. Vizebürgermeisterin Vassilakou ist ja für Bürgerbeteiligung zuständig, und wir haben mit der Charta die technischen Voraussetzungen dafür entworfen. Inhaltlich wurde die Integrations-Säule Zusammenleben besser aufgestellt, dabei geht es um Dialog und Emotionen. In einer 1,7-Millionen-Einwohner-Stadt, in der rund die Hälfte der Bewohner Migrationserfahrung hat, muss man den sozialen Wandel gestalten. Dazu muss man den Menschen sagen: Leute, das ändert sich nicht. Wir sind mobil, wir müssen mit diesen Voraussetzungen umgehen. Wir wollen das nicht aufhalten, sondern gestalten. Da ist die Charta sicher nur ein Anfang. Und wir müssen sie immer wieder einer Feedbackschleife unterziehen. Die Charta muss beweglich sein. (Bettina Fernsebner-Kokert/Andrea Heigl/DER STANDARD, 29.11.2012)