Innsbruck/Wien - Trotz zahlreicher Studien führender Klimaforscher herrschte in den vergangenen Jahren Unklarheit, wie stark die Eismassen rund um die Pole an Masse verlieren. Auch der letzte Bericht des Weltklimarates (IPCC) beruhte auf Daten, aus denen nicht eindeutig hervorging, ob das Eis in der Antarktis weniger wird.
Nun verglich ein 47-köpfiges Forscherteam unter Beteiligung von Helmut Rott von der Universität Innsbruck zahlreiche Satellitendaten und sorgte für konkrete, wenn auch recht unvorstellbare Zahlen: Wie die Forscher heute im Fachblatt Science berichten, haben die Eisschilde der Antarktis und Grönlands in den vergangenen Jahren 4000 Milliarden Tonnen an Masse verloren.
Wie Rott bestätigt, wurde damit die Genauigkeit der bisherigen Daten mehr als verdoppelt. Möglich war dies durch den systematischen Vergleich von drei unterschiedlichen Satellitenmessverfahren: die Beobachtung von Eisströmen mittels Radarmessungen, die Ermittlung von Höhenänderungen durch Radar- und Lasermessungen sowie die Messung der Änderung des Erdschwerefeldes.
Stark beschleunigtes Abschmelzen
"Die Daten zeigen sehr deutlich, dass sowohl Grönland als auch die Antarktis Eismasse verlieren", fasst Helmut Rott Ergebnisse der Studie zusammen. "Und heute schmilzt in Grönland etwa fünfmal so viel Eis ab wie noch in den 1990er-Jahren, während in der Antarktis die Beschleunigung etwas langsamer vor sich geht."
Seit 1992 haben die schmelzenden Eismassen in den Polarregionen den Meeresspiegel um 1,1 Zentimeter steigen lassen - und damit etwa ein Fünftel zum Anstieg des Meeresspiegels beigetragen. Zwei Drittel davon stammen aus Grönland und der Rest aus der Antarktis.
Im 20. Jahrhundert leistete noch das Abschmelzen der Gletscher den größten Beitrag zum Meeresspiegelanstieg. "Durch das in den letzten Jahren stark beschleunigte Abschmelzen in Grönland ist der Beitrag der beiden großen Eisschilde zum Meeresspiegelanstieg heute aber bereits gleich groß wie jener der Gletscher", sagt Helmut Rott. "Dies ist besonders deshalb bedrohlich, weil in den polaren Eisschilden sehr, sehr viel mehr Wasser gebunden ist als in allen Gletschern zusammen."
Dass der Meeresspiegel viel rascher ansteigt, als der Bericht des IPCC vorhergesagt hat, geht aus einer zweiten Studie hervor, die dieser Tage in den Environmental Research Letters veröffentlicht wurde (wir berichteten). Der Weltklimarat ging 2007 noch davon aus, dass der Meeresspiegel seit 1992 nur um jährlich rund zwei Millimeter anstieg.
Ein Forscherteam um Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat nun aber ebenfalls Satellitenmessungen verglichen und errechnet, dass der Meeresspiegel seit Beginn der 1990er-Jahre durchschnittlich um 3,2 Millimeter pro Jahr stieg.
Den vom IPCC angenommenen Temperaturanstieg um 0,16 Grad pro Jahrzehnt bestätigen die aktuellen Messungen jedoch, heißt es in der Studie. (tasch, DER STANDARD, 30.11.2012)