László Majtényi: "Die Opposition überlegt, die nächsten Wahlen zu boykottieren. Ich bin gegen dieses Vorgehen."

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Viktor Orbán hat bei den Wahlen 2014 eine Zwei-Drittel-Mehrheit zu verteidigen ...

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... die ihm Gordon Bajnai abjagen will.

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Die Stimme des ungarischen Verfassungsrechtlers László Majtényi ist eine jener, die man hört, wenn man an Anti-Regierungs-Demonstrationen teilnimmt. Er ist fixer Bestandteil der oppositionellen Bewegung, die die jüngsten umstrittenen Gesetzesänderungen immer schärfer und vehementer kritisiert. Im Gespräch mit derStandard.at spricht er über fehlenden Respekt vor geltenden Gesetzen, die guten Seiten von Premier Viktor Orbán und wachsenden Rassismus in Ungarn.

derStandard.at: Herr Majtényi, kann man in Ungarn tatsächlich von einer "Viktatur" sprechen, wie es einige Oppositionelle tun?

László Majtényi: Der frühere Staatspräsident László Sólyom hat gesagt, dass das politische System in Ungarn zwar Teile der Verfassung beachtet, aber nicht die ganze Verfassung. Medienfreiheit ist nur teilweise gegeben, aber wenn ich etwas kritisches schreibe und es publizieren will, dann habe ich keine Probleme.

Die Bevölkerung hat also Rechte, Ungarn ist Mitglied der EU und des Europarats, und auch wenn jetzt einige Gesetze von der Regierung zum Schlechten geändert wurden, ist der Großteil unserer Gesetze immer noch in Ordnung. Von einer Diktatur kann man daher nicht sprechen, auch wenn die momentane Situation in Ungarn etwas besonderes im negativen Sinne ist.

derStandard.at: Vor allem das neue Wahlgesetz, das eine Pflichtregistrierung vor Wahlen vorsieht, wird scharf kritisiert.

Majtényi: Diese Gesetzesänderung ist absolut inakzeptabel und nicht verfassungsgemäß. In Ungarn gibt es hervorragende Wählerregister, eine persönliche Registrierung vor Wahlen ist also vollkommen unnötig. Es dient nur dazu, die Teilnahme an den Wahlen zu verhindern, und das würde der Regierungspartei Fidesz helfen.

Es gibt Überlegungen in der Opposition, die nächsten Parlamentswahlen 2014 zu boykottieren. Ich bin allerdings gegen dieses Vorgehen. Man soll nicht gegen eine Politik protestieren, indem man nicht am demokratischen Prozess teilnimmt und den politischen Diskurs verweigert. Es gibt andere Druckmittel, damit die Regierung die Pflichtregistrierung zurücknimmt. Demonstrationen sind mal ein Anfang.

derStandard.at: Kann man bis zu den Wahlen noch weitere strittige Gesetzesänderungen von der Regierung Orbán erwarten?

Majtényi: Das ist schwer zu sagen. Angesichts der Regierungsentscheidungen in letzter Zeit kann man aber feststellen, dass die Regierung keinen Respekt vor geltenden Gesetzen hat, auch nicht vor Grundgesetzen. Die neue Verfassung haben sie ja schon zerstört, sie werden vermutlich nicht davor zurückschrecken, noch mehr zu zerstören.

derStandard.at: Bei aller Kritik an Viktor Orbán: Fällt Ihnen auch etwas ein, was er in seiner zweiten Amtszeit gut gemacht hat?

Majtényi: Das Verhalten angesichts der Finanzkrise war meiner Meinung nach gut. Die Anstrengungen bezüglich Staatshaushalt und Schuldenabbau waren nicht perfekt, aber in Ordnung.

derStandard.at: Ein weiterer negativer Aspekt ist ja, dass Rechtsextremismus und Antisemitismus unter Orbán zugenommen haben, unter anderem auch im Parlament.

Majtényi: Das ist ein großes und schwieriges Problem in Ungarn, keine Frage. Und es wird noch schlimmer, weil Bücher rechtsextremer und antisemitischer Autoren bald in den schulischen Lehrplan aufgenommen werden sollen. Das größte Problem in Ungarn ist der Rassismus gegen die Roma. Das erste Ziel der Rechtsextremisten sind die Roma, das zweite sind die Juden. Und unter der Regierung Orbán ist die Situation schlimmer geworden.

derStandard.at: Mit "Zusammen 2014" gibt es nun ein neues oppositionelles Bündnis. Was sagen Sie dazu?

Majtényi: Es ist ein Zusammenschluss mehrerer Zivilorganisationen, Milla und Szolidaritás sind darin involviert. Ihr Ziel ist es, bei den nächsten Wahlen eine Zwei-Drittel-Mehrheit zu erreichen, um die Gesetze der Regierung Orbán rückgängig zu machen. Das ist eine sehr wichtige Bewegung, es muss aber klar sein, dass die Oppositionsparteien sich vereinigen müssen, um einen Machtwechsel zu ermöglichen.

derStandard.at: Ex-Regierungschef Gordon Bajnai führt diese neue Bewegung an. Was halten Sie von ihm?

Majtényi: Seine Zeit als Regierungschef war ein Erfolg. Allerdings war es nur eine kurze Amtszeit, etwas mehr als ein Jahr, und außerdem war es eine unübliche Zeit in der ungarischen Politik, da zuvor Regierungschef Ferenc Gyurcsány durch ein Misstrauensvotum aus dem Amt schied. Auch hat da gerade die globale Finanzkrise so richtig begonnen. Man kann also nicht sagen, wie er unter normalen Umständen regieren würde.

derStandard.at: Die EU hat ja bereits mehrere Verfahren gegen Ungarn eingeleitet. Was kann oder soll sie zusätzlich machen, um die Situation in Ungarn zu verändern?

Majtényi: Ich denke nicht, dass entscheidende Hilfe von außen kommen kann. Die Probleme in der ungarischen Demokratie sind Probleme der ungarischen Bevölkerung. Daher kann auch nur die ungarische Bevölkerung diese Probleme lösen.

derStandard.at: Sie waren Vorsitzender der Medienbehörde ORTT, sind aber nach der Entscheidung der Behörde, zwei regierungskritischen Radiosendern die Lizenz zu entziehen, aus Protest zurückgetreten.

Majtényi: Ja, es war ein Protest gegen die Entscheidung der von Fidesz gleichgeschalteten ORTT. Und gerade beim Radiosender "Klubradio" war es sogar aus der Sicht von Fidesz eine dumme Entscheidung. Es ist ein kleiner Radiosender, den nicht viele kannten. Nun ist er berühmt.

derStandard.at: Man wollte vor zwei Monaten auch in österreichischen Medien intervenieren. Der ungarische Botschafter in Österreich, Vince Szalay-Bobrovniczky, hat einen Protestbrief an den ORF geschickt. Er beschwerte sich, dass bei einer Dokumentation über Ungarn nur Gegner der Regierung zu Wort gekommen seien. War das auch Thema in Ungarn?

Majtényi: (lacht) Ja, aber nur in intellektuellen Kreisen. Wir fanden das auf jeden Fall ziemlich witzig, dass der Botschafter wirklich meinte, dort intervenieren zu können. (Kim Son Hoang, derStandard.at, 03.12.2012)