Oslo/London - Sprachwissenschafter rechnen das moderne Englisch für gewöhnlich den westgermanischen Sprachen zu, denen auch das Hochdeutsche und das Niederländische angehören. Zwei Linguisten widersprechen dem nun: Das Neuenglische basiere vielmehr größtenteils auf der Sprache der Wikinger, die ab dem 9. Jahrhundert die britischen Inseln von Dänemark und Norwegen aus kolonisierten, glauben Jan Terje Faarlund von der Universität Oslo und sein Kollege Joseph Emmonds von der tschechischen Universität Palacky.

Der herkömmlichen Lehrmeinung zufolge waren es die germanischen Angeln, Sachsen und Jüten, die bei ihrer Ankunft auf den britischen Inseln ihre Sprache(n) mitbrachten. Das sich daraus entwickelnde Altenglisch wäre damit unmittelbar mit norddeutschen Sprachen wie dem heutigen Plattdeutsch verwandt. Durch den Einfall der französisch beeinflussten Normannen 1066 sei die Sprache modifiziert worden und soll sich so zum Mittel- und später zum Neuenglischen weiterentwickelt haben.

Das Danelag

Faarlund und Emmonds hingegen glauben, dass es zwischen Altenglisch und dem heute gesprochenen Neuenglisch keine direkte Verbindung gibt. Sie werten als maßgeblichen Einfluss die Wikinger-Herrschaft im Norden und Osten Englands. Dort konnte sich nach einem Eroberungszug im späten 9. Jahrhundert das sogenannte Danelag etablieren. Die neuen skandinavischen Herren dieses großen Gebiets hätten keinen Grund gesehen, ihre Sprache zu ändern. Und sie hätten sie auch ihren Untertanen aufgezwungen, glauben Faarlund und Emmonds laut dem Forschungsmagazin "Apollon" der Universität Oslo.

Nach der angelsächsischen Eroberung des Danelags im 10. Jahrhundert und dem normannischen Einfall im 11. hätte sich dann die skandinavische mit der angelsächsischen Bevölkerung vermischt und eine gemeinsame Sprache geschaffen, in der der skandinavische Einschlag die Oberhand behalten habe. Das frühere Altenglisch hingegen sei einfach ausgestorben und damit nicht der Vorläufer des heutigen Englisch.

Sprachliche Indizien

Als Beleg für ihre Hypothese werten die beiden Linguisten unter anderem die große Anzahl an englischen Alltagsausdrücken, die Wörtern in skandinavischen Sprachen ähneln, nicht jedoch ihren Bedeutungsentsprechungen im Altenglischen: Etwa die Wörter für Ei ("egg"), niedrig ("low") oder Donnerstag ("thursday").

Auch in der Grammatik gebe es ein größeres Naheverhältnis des Englischen zur nordgermanischen als zur westgermanischen Sprachfamilie - etwa bei der Stellung des aussagenden Verbs im Satz: Im Deutschen steht dieses nach dem Objekt am Satzende ("Ich habe das Buch gelesen"), während es sowohl in skandinavischen Sprachen als auch im Englischen vor dem Objekt steht ("I have read the book"). Ein weiteres Indiz sei, dass es sowohl im Englischen als auch in den modernen skandinavischen Sprachen möglich ist, Präpositionen an das Ende von Sätzen zu stellen - während eine Konstruktion wie "This we have talked about" im Deutschen oder Niederländischen nicht möglich ist. (APA/red, derStandard.at, 2. 12. 2012)