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Gregor Sailer, "Closed Cities". Euro 48,00 / 300 Seiten, 151 Farbabbildungen. Kehrer, Heidelberg/Berlin 2012.

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Dichter, undurchdringlicher Nebel oder eine Schneewüste verbildlichen gerne das Undefinierte. Oft ist das Nichts von dem es keine Vorstellung gibt weiß. Auch beim Tiroler Fotografen Gregor Sailer ist Weiß das Kolorit des Niemandslandes: Sechs verschlossene, verschwiegene und verleugnete Städte hat er auf drei Kontinenten besucht, hat den Ansiedlungen von denen keine Bilder existieren, ein Gesicht gegeben.

"Closed Cities" heißt sein Fotobuch über das Verorten jener, von extremsten Lebensbedigungen - ob klimatisch, ökologisch oder psychologisch - bestimmten Orte. Ein Kartografieren blinder Flecken, das sich auch formal stimmig widerspiegelt: Schlägt man das Buch auf, sind auf einer weißen Karte, die von der Außenwelt isolierten Orte verzeichnet; nur die Seitenränder verraten Längen- und Breitengrade.

Der Begriff der "geschlossenen Stadt" geht ursprünglich auf die zahlreichen sowjetischen Geheimstädte zurück, die zum Teil erst zu Beginn dieses Jahrtausend ihren Weg auf die Landkarten fanden. Doch solch abgeriegelte, künstlich geschaffenen urbane Zonen existieren bis heute.

Sailers "Closed Cities" sind Orte der Rohstoffförderung, Militäranlagen, Flüchtlingslager oder aber "Gated Communities": die russische Diamantenstadt Mirny, wo man 1959 mit der Förderung begann, die Bohrplattform Oil Rocks im kaspischen Meer, Sahrawi, ein seit 1975/76 bestehendes, abgeriegeltes algerisches Flüchtlingslager in der Westsahara, die verseuchte chilenische Geisterstadt Chuquicamata, wo einst Kupfer-Tagebau betrieben wurde, Ras Laffan, eine 1997 gegründet Industrieansiedlung der Erdgasbranche in Katar sowie die Gated-Community Nordelta in Argentinien.

Es sind sozial wie politisch prekäre, urbane Gefüge - Mikrokosmen, deren restriktive Dimensionen in Bezug auf demakratiepolitische und zivilgesellschaftliche Prozesse und die Einhaltung von Menschenrechten das Prädikat "Stadt" fragwürdig erscheinen lassen (vlg. dazu den Katalogbeitrag von Wencke Hertzsch).

Es sind starke Bilder deren ikonische und dokumentarische Qualitäten gleichwertig sind. Trotzdem besticht die Ästhethik der menschenleeren Fotos. Sailer braucht keine Menschen, um von den existentiellen Nöten der dort lebenden Menschen oder der erdrückenden Hermetik hinter Mauern, Wällen und Zäunen zu erzählen. Er begnügt sich damit, die Aura der Orte einzufangen, die sich irgendwo zwischen extremer Landschaft und artifizieller Struktur verfängt. Etwa dann, wenn Architektur und Siedlungsgefüge mehr der wirtschaftlichen Funktionalität als menschlichen Bedürfnissen entsprechen.

Für Sailer sind es gut vorbereitete Annäherungen an das Unbekannte. In langwierigerer, oft beschwerlicher Weise hat sich Sailer an die Orte jenseits der öffentlichen Wahrnehmung herangetastet - recherchiert und um Gehnehmigungen angesucht. Nicht nur klimatische Strapazen erschwerten seine Arbeit, sondern häufig auch der Druck von Geheimdiensten und Militärs.

Ein Satz in den Danksagungen lässt aufhorchen: "Thanks to my brother Philipp, for managing to get me out of Algeria." Das Tagebuch von Sailers Reisen steht noch aus. (Anne Katrin Feßler, Langfassung, DER STANDARD, 1./2.12.2012)