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"Sollte uns das etwas ausmachen? Sollten wir akzeptieren, dass Handschrift zu einer Fähigkeit geworden ist, deren Zeit vorüber ist? Oder trägt sie einen Wert in sich, der niemals wirklich vom getippten Wort ersetzt werden kann?". Diese Fragen stellt sich der britische Autor Philip Hensher zu Beginn seines Buches "The Missing Ink" (Untertitel: "Die verlorene Kunst der Handschrift"), Ode, Nachruf und flammende Rede für das händische Schreiben.

Als das Schreiben dem Notieren wich

Sicher, so meint Slate-Autorin Julia Turner, die kurze Todo-Liste, die kurze Botschaft für den Partner oder Gäste am Küchentisch oder vielleicht die Notizen aus einem Meeting - all das wird oft noch händisch niedergeschrieben. Aber wann haben wir zuletzt einen Stift zu Papier gebracht, um Argumente niederzuschreiben oder unseren Standpunkt ausführlich zu Papier zu bringen? Wann haben wir zuletzt geschrieben und nicht nur notiert?

Stilverlust

Sicher, das Schreiben mit und auf Bildschirmen hat Vorteile. Man kann Zeilen mitten in der Nacht auf seinem Smartphone verfassen, ohne dafür das Bett verlassen oder das Licht andrehen zu müssen. Doch Hensher entwickelte die Kapitel seines Buches penibel auf Papier und nicht im Fenster der Software einer Office Suite. Er erhält regelmäßig Komplimente für seine einzigartige Handschrift. Wissen wir heute, 2012, noch, wie unsere eigene aussieht?

Bei der Durchsicht ihrer 42 Notizbücher, die Turner in ihrer Zeit als Slate-Mitarbeiterin bisher gefüllt hat, fiel ihr auf, dass man dies von ihr nicht mehr behaupten könne. In den vollgeschriebenen Seiten, die laut ihr wie das "Tagebuch einer verrückten Frau" aussehen, entdeckt sie ein Mischmasch aus Stilen und Schreibwerkzeug mit wenig ausmachbarer Konsistenz.

Die Schrift, ein Persönlichkeitsmerkmal

Hensher analysiert die Evolution des Schriftbildes anderer Personen und erinnert sich etwa an einen gewissen Paul im Thurn, der an der Universität mit seinem distinktiv kursiven Schreibstil hervorstach, den er "brutal absteigend" entwickelte. Er erinnert daran, wie manche Jugendliche Wert auf ein persönliches Schriftbild legten und Teile ihre Freizeit damit verbrachten, möglichst elegante Linien zu Papier zu bringen. Handschrift ist mehr als Buchstaben auf Zellulose, sondern, so der Autor, auch ein Quell interessanter Beobachtungen und Geheimnisse.

Gleichzeitig merkt er aber auch an, dass er die Handschrift einiger seiner Freunde gar nicht kennt. Eine Wahrheit, die Turner dazu veranlasste, 15 Kollegen um eine Schriftprobe zu bitten, von denen sie am Ende lediglich zwei ihren Verfassern zuordnen konnte.

Von der Schönschrift...

Und dann wäre da noch die Geschichte des Schreibens und der Kunst der Handschrift, der Hensher ebenfalls einen Teil seines Buches widmet. Wie sie im 19. Jahrhundert von einer Beschäftigung der Elite über das Bürgertum schließlich auch die ersten Arbeiter erreichte, die Schulen besuchten. Die Schreibkunst war darauf ausgerichtet, Dinge "schön, schnell und korrekt" abzuwickeln. "Spencerian Copperplate", eine alte Schulschreibschrift sollte nebenbei die Moral fördern und brachte auch die Widerspenstigen und Ungewaschenen dazu, über angenehme Formen wie ein "schön gerundetes O" nachzudenken, so Hensher weiter.

...zur Effizienz

Es folgten weitere Schulschreibschriften, von denen man manche noch von seinen Großeltern kennt. Hinter ihnen stehen verschiedene Konzepte. So scheint das in den USA eingeführte "Palmer-Kursiv" voller überflüssiger Schnörkel zu sein, jedoch steht dahinter die Idee seines gleichnamigen Erfinders, der ein Verfechter der Idee war, dass man beim Schreiben am Besten seinen ganzen Arm bewegen sollte.

Nach damaliger Ansicht konnte man so länger mit hoher Geschwindigkeit Schreiben, ohne Krämpfe zu bekommen. Die Evolution der Schulschrift war zunehmend ausgelegt auf Schnelligkeit und Lesbarkeit.

Ein Hobby für ästhetisch veranlagte Menschen

Und damit kommt man an dem Punkt, an dem Hensher nach Ansicht von Turner, bei seiner Argumenation ins Wanken gerät. Was ist schneller und sauberer als Getipptes? Ist es nicht leichter, einem Text Aufmerksamkeit zu schenken, wenn er in Blöcken sauberer Druckschrift verfasst ist? Handschrift ist nicht der einfachste und verständlichste Kommunikationsweg, wenn es darum geht, sich primär flott und verständlich zu verständigen.

Der Handschrift bleibt also, sagt Turner, die Nostalgie als Rückzugsort. Doch auch das hat seinen Wert. Einen Brief zu erhalten, der sichtbar durch die Hände des Absenders erarbeitet wurde, hat immer noch etwas Einzigartiges an sich. Einen Charme ähnlich vieler handgefertigter Einzelstücke, wie man sie auf Marktplätzen wie Etsy findet.

Der Inhalt zählt

Eine feine Handschrift zu kultivieren ist jedoch zu einem Luxus für ästhetisch Veranlagte geworden, ähnlich wie die hohe Kunst des Strickens oder Servierens. Schulkinder lernen heute zwar immer noch das händische Schreiben, doch ob sie das in späterer Zukunft noch gut beherrschen, wird nicht mehr so wichtig sein.

Während Hensher im Verlust der Handschrift auch einen kleinen Verlust an Menschlichkeit erkennt, zieht Turner ein anderes Fazit: "In einer Welt, in der getippter Text dominiert, wird unsere Menschlichkeit vielleicht noch sichtbarer: Wir werden nicht an unserem Geschick mit einem Schreibstift gemessen werden, sondern an dem, was wir zu sagen haben." (red, derStandard.at, 03.12.2012)