Ernst Strasser: Der frühere Innenminister wird nun zur schwierigen Rechtsfrage

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Ernst Strasser wollte Spionen nachstellen: Diese Verteidigungsstrategie des ehemaligen EU-Parlamentariers im Korruptionsprozess sorgt bei BeobachterInnen für amüsiertes Schmunzeln und verwundertes Kopfschütteln. Dass das Gericht die Rechtfertigung des früheren Innenministers für glaubwürdig hält, gilt als nicht sehr wahrscheinlich. 

Doch das allein sagt noch wenig darüber aus, welches Urteil Strasser im Jänner erwartet. Wie groß seine Chancen sind, einem Schuldspruch zu entkommen, darüber herrscht unter Rechtskundigen traute Uneinigkeit: Während die einen wenig Substanz für einen Schuldspruch orten, sehen andere die Stoßrichtung des Bestechungsparagrafen für klar genug, um in Strassers Vorgehen zweifelsfrei schuldhaftes Verhalten zu sehen.

"Das kann jeder tun"

Zur Erinnerung: Strasser hat sich mehrmals mit den als LobbyistInnen getarnten RedakteurInnen der "Sunday Times" getroffen und ihnen zugesagt, gegen ein Honorar von jährlich 100.000 Euro Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen. Und er hat dieser Zusage Taten folgen lassen - nämlich, indem er bei den Büros anderer Abgeordneter für Anliegen seiner vermeintlichen KlientInnen interveniert hat. Soweit die Anklage. Strassers Verteidiger meint, das allein erfülle noch nicht den Tatbestand der Bestechlichkeit. Denn im Gesetzestext heißt es, man müsse für die "pflichtwidrige Vornahme (...) eines Amtsgeschäfts" Geld fordern. Strasser habe aber gar kein Amtsgeschäft vorgenommen, sondern nur mehrere Abgeordnete oder deren Umfeld kontaktiert und auf Anliegen aufmerksam gemacht. "Das kann der Herr Maier oder der Herr Huber genauso tun", meint Strasser-Anwalt Thomas Kralik - und wozu jeder x-beliebige Mensch imstande sei, das könne unmöglich ein Amtsgeschäft sein. 

Auch Strafrechtsprofessor Helmut Fuchs meint, Strasser hätte den vermeintlichen LobbyistInnen "ein spezifisches Geschäft" versprechen müssen - dass er anderen Abgeordneten einen bestimmten Abänderungsantrag nahegelegt hat, sei noch kein Amtsgeschäft, so Fuchs: "Das könnte ich genauso tun." Das Argument, dass Strasser als Abgeordneter über einen größeren Einfluss auf andere Mandatare verfüge als eine x-beliebige Person, lässt Fuchs nicht gelten: "Es wird sicher Vertreter der Privatwirtschaft geben, die einen noch viel größeren Einfluss hätten als ein Abgeordneter."

"Alles, was zur Gesetzgebung dazugehört"

Ganz anders sieht das der Innsbrucker Strafrechtler Andreas Scheil. Strassers Mails und Anrufe in den Büros anderer Abgeordneter seien sehr wohl als Amtsgeschäfte zu sehen: "Alles, was zum Gesetzgebungsprozess dazugehört, ist das Amtsgeschäft von Mandataren - denn es ist schließlich ihr Job, Gesetze zu beschließen." Und dazu gehöre nicht nur das simple Abstimmen, sondern auch die Meinungsbildung im Gespräch mit anderen Abgeordneten im Vorfeld der Abstimmungen.

Die Rechtsansicht, dass nur das Einbringen von Anträgen oder das Hand-Heben bei der Abstimmung als Amtsgeschäft zu werten seien, hält Scheil für "zu beamtenfixiert". Die Arbeit von Abgeordneten sei nicht so scharf abgrenzbar wie jene einer Richterin oder eines Magistratsbeamten. Bei ersteren seien nur Urteile bzw. Bescheide als Amtsgeschäfte zu werten - bei Abgeordneten sei die Sache schon komplexer.

"Nicht alles, was ein Amtsgeschäft ist, ist auch ein pflichtwidriges Amtsgeschäft", gibt die Wiener Strafrechtlerin Ursula Medigovic zu bedenken.

Andreas Scheil glaubt jedoch, dass im Fall Strasser möglicherweise auch die Pflichten eines Abgeordneten verletzt worden sind. Die Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments erlege dessen Mitgliedern jedenfalls eindeutig die Pflicht auf, "nur im öffentlichen Interesse" zu handeln und "keinerlei unmittelbaren oder mittelbaren finanziellen Nutzen oder eine sonstige Zuwendung" zu erlangen.

"Sie waren handelseins"

Aus Sicht des Wiener Korruptionsexperten und Juristen Hubert Sickinger ist jedenfalls noch alles offen. Auch Sickinger hält zwar Strassers Verteidigungslinie, dass er lediglich einem Geheimdienst auf der Spur zu sein glaubte, für "in sich zusammengefallen". Die Frage, was bei EP-Abgeordneten als Amtsgeschäft gelte, sei jedoch bislang ungeklärt, zumal es noch keinen derartigen Fall gegeben hat. "Alles hängt davon ab, wie man das Gesetz im Hinblick auf EU-Abgeordnete interpretiert", meint Sickinger. Dem Gericht komme hier ein gewisser Spielraum zu. Strassers Tun als Amtsgeschäft zu werten, sei jedenfalls im Bereich des Möglichen: "Strasser hat zwar den Vertrag nicht unterzeichnet, aber er hat Geld verlangt, hat den Vertragsentwurf abgeändert und erste Schritte gesetzt - die beiden Vertragsparteien waren offenbar handelseins."

JournalistInnen werden aussagen

Die beiden Journalisten, Jonathan Calvert und Claire Newell, sind für 13. Dezember als ZeugInnen geladen. Ob sie zu diesem Zeitpunkt kommen können, ist noch offen. Auch die Frage, ob sie in Wien aussagen oder ob die Befragung via Videokonferenz vorgenommen wird, ist noch nicht geklärt. Falls Calvert und Newell nach Wien kommen, werde er ein Fotoverbot im Gericht verhängen, kündigte Richter Georg Olschak am Montag an. Die JournalistInnen hatten die Bedingung gestellt, dass sie im Gericht nicht fotografiert oder gefilmt werden - um weitere Undercover-Recherchen nicht zu gefährden. (Maria Sterkl, derStandard.at, 3.12.2012)