"Die Kriminalisierung von Aufenthaltsehen ist für die Fremdenpolizei ein mächtiges Mittel, um binationale Ehen und deren Lebensumfeld zu kontrollieren", sagt die Politkwissenschaftlerin Irene Messinger.

Foto: Ann-Birgit Höller

Irene Messinger: Schein oder nicht Schein. Konstruktion und Kriminalisierung von "Scheinehen" in Geschichte und Gegenwart
Mandelbaum 2012
ISBN: 3-85476-618-1

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Die Ehe gilt als eine vom Staat privilegierte Form der heterosexuellen Zweierbeziehung. Dass hier jedoch nicht alle denselben Zugang haben, konnte die Politikwissenschafterin Irene Messinger während ihrer Tätigkeit als Rechtsberaterin für AsylwerberInnen und illegalisierte Flüchtlinge beobachten: Sie stellte fest, wie binationale Ehen seit Mitte der 2000er Jahre zunehmend unter den Verdacht der Schein- oder Aufenthaltsehe gerieten.

Seit 2006 gilt das Eingehen einer sogenannten Aufenthaltsehe - im Alltag auch Scheinehe genannt - als strafrechtliches Delikt, mit einem Strafrahmen bis zu einem Jahr Haft. Der Vorwurf gegen diese Paare lautet, ihre Beziehung nicht aus Liebe, sondern aufgrund eines "fremdenrechtlichen Vorteils" für Drittstaatsangehörige eingegangen zu sein. Dazu gehört etwa die Legalisierung des Aufenthalts, der Zugang zum Arbeitsmarkt oder auch zur Staatsbürgerschaft. Wer der Aufenthaltsehe bzw. -partnerschaft verdächtigt wird, muss sich von der Fremdenpolizei mitunter ins Schlafzimmer schauen und in der Schmutzwäsche wühlen lassen.

Messinger analysierte die fremdenpolizeiliche Konstruktion der "Scheinehe" wissenschaftlich. Für ihre Dissertation führte sie unter anderem Interviews mit Behörden-VertreterInnen und studierte stapelweise Gerichtsakten. Für ihre Doktorarbeit, die vor kurzem auch als Buch erschienen ist, wurde die freie Wissenschaftlerin mit mehreren Preisen ausgezeichnet.

dieStandard.at: Wie unterscheidet die Fremdenpolizei zwischen einer echten Ehe und einer Aufenthaltsehe? Nach welchen Kriterien nimmt sie ihre Bewertungen vor?

Irene Messinger: Die Fremdenpolizei versucht durch Erhebungen im Lebens- und Wohnumfeld - indem sie zum Beispiel bei NachbarInnen und Eltern nachforscht -, durch Kontrollen in der Wohnung und durch getrennte Befragungen einen Einblick in das Privatleben des Paares zu bekommen. Hier dominieren konservative Vorstellungen vom Eheleben. Außerdem werden auch sehr intime Details der Beziehung abgefragt. So beweist sich das Zusammenleben für die Fremdenpolizei primär über die gemeinsam verbrachten Nächte, die in einem Doppelbett stattfinden sollen - getrenntes Schlafen wird als normabweichend registriert. 

Einen neuen Fokus stellt das Wissen um die finanziellen Ressourcen der beiden PartnerInnen dar. Gefragt wird also nach dem Einkommen, Ersparnissen usw. Diese Kontrollen können sich über Monate ziehen und verzögern damit das Verfahren auf Erlangung eines Aufenthaltstitels. Ist die Fremdenpolizei letztlich davon überzeugt, dass es sich um eine Aufenthaltsehe oder -partnerschaft handelt, kann sie zum einen ein Aufenthaltsverbot gegen den drittstaatsangehörigen Part der Ehe und zum anderen eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft einbringen. Diese Verfahren werden dann an den Bezirksgerichten geführt.

dieStandard.at: Wenn man sich die Zahl der Verurteilungen aufgrund des "Eingehens und der Vermittlung von Aufenthaltsehen und Aufenthaltspartnerschaften" ansieht, sind diese sehr gering. Laut Kriminalstatistik waren es 2010 und 2011 jeweils nur 16 Verurteilungen. Warum bekommt das Thema "Scheinehen" dennoch so viel Aufmerksamkeit?

Messinger: Das Thema wurde von der Wiener Fremdenpolizei sehr medienwirksam lanciert. Dadurch hoffte der damalige Leiter auf anonyme Hinweise aus der Bevölkerung, eine Strategie, die seiner Information nach gut funktioniert hat. Letzten Sommer gab es einen personellen Wechsel, damit ist auch dieser Fokus zurückgegangen. Das zeigt, wie stark die Politikgestaltung von den Einzelinteressen der bürokratischen Akteure abhängig ist. Derzeit werden Aufenthaltsehen zwar weiterhin kontrolliert, haben aber weniger Bedeutung für die Fremdenpolizei. 

Was die Verurteilungen betrifft: Der geringen Zahl an Verurteilten steht eine hohe Zahl an unnötigen Gerichtsverfahren gegenüber. 2009 wurden in Österreich 344 Verfahren an den Bezirksgerichten geführt, die mit etwa fünfzig Verurteilungen endeten. Der Großteil der Gerichtsverfahren wurde also mit Freisprüchen beendet. Diese Diskrepanz zeigt, dass die Kriminalisierung von Aufenthaltsehen als Bedrohungsszenario dient und für die Fremdenpolizei ein mächtiges Mittel ist, um binationale Ehen und deren Lebensumfeld zu kontrollieren. Dafür wird ein hoher finanzieller Aufwand betrieben, in Wien gibt es eine eigene Abteilung mit zwanzig Personen, die sich unter anderem um die Kontrolle vermuteter Aufenthaltsehen kümmert.

Nicht zuletzt ist das Thema auch in einen Asyl- und Fremdenrechtsdiskurs eingebettet, der stark von Abwehr gegen Fremde geprägt ist. Daher eignet sich das Thema medial natürlich immer, um Stimmung gegen Personen zu machen, die die "heilige" Institution der Ehe missbrauchen, um ihren Aufenthaltsstatus zu sichern. 

dieStandard.at: Seit 2010 sind eingetragene gleichgeschlechtliche Paare in Sachen Fremdenrecht der Ehe gleichgestellt. Welche Bedeutung hat der Verdacht der Aufenthaltspartnerschaft in der Praxis?

Messinger: Es werden ebenso wie bei Ehen Kontrollen durchgeführt, die zu sehr mühsamen Verfahren vor Gericht führen können, bislang sind mir aber keine Verurteilungen bekannt. Möglicherweise haben die Behörden kaum Vorstellungen über gleichgeschlechtliche Beziehungsformen, was es ihnen schwer macht, zu einer Unterscheidung zwischen "echter" und "Aufenthaltspartnerschaft" zu kommen. Die Fremdenpolizei hat übrigens betont, dass es ohnehin sehr selten wäre, dass sich MigrantInnen mit einer Eingetragenen Partnerschaft als homosexuell outen, und sie daher eher glaubwürdig erscheinen.

dieStandard.at: Gibt es Personengruppen, die eher der Scheinehe verdächtigt werden als andere?

Messinger: Bei den von mir durchgeführten ExpertInnen-Interviews hat sich gezeigt, dass zwei Gruppen bei den Verdächtigungen dominieren: Ehen zwischen österreichischen Frauen und Asylwerbern und Ehen von Menschen aus den Herkunftsländern der ehemaligen GastarbeiterInnen, hauptsächlich zwischen SerbInnen und ÖsterreicherInnen. Diese Personengruppe wird häufiger kontrolliert, weshalb auch mehr Verfahren geführt werden. Interessanterweise wird die statistisch größere Gruppe an binationalen Ehen, nämlich Ehen zwischen österreichischen Männern und Frauen aus asiatischen Staaten, überhaupt nicht verdächtigt. Da kommen rassistische und sexistische Elemente zusammen, sodass nur bestimmten Gruppen unterstellt wird, eine Aufenthaltsehe zu führen.

dieStandard.at: Sie haben auch festgestellt, dass 70 bis 80 Prozent jener, die angeklagt und verurteilt werden, Frauen sind, die Männer aus Drittstaaten heiraten. Wie lässt sich der hohe Frauenanteil erklären?

Messinger: Genau daraus, dass der behördliche Blick primär auf die Ehen zwischen Frauen und drittstaatsangehörigen Männern gerichtet ist. Und was noch auffällig war: Fast alle Personen lebten an oder unter der Armutsgrenze. Sie wurden also wegen des Eingehens einer Aufenthaltsehe verurteilt, obwohl ihr zu geringes Einkommen ohnehin nicht ausgereicht hätte, ihrem Partner ein Aufenthaltsrecht zu sichern. Wesentlich folgenreicher als die Geldstrafe für die Österreicherinnen war jedoch das Vorgehen gegen den ausländischen Partner. Der erhielt ein Aufenthaltsverbot und musste das Land verlassen. Der Fokus der Kontrolle ist variabel und kann die jeweils als "unerwünscht" geltende Gruppen treffen.

dieStandard.at: Bei der Aufenthaltsehe wird ja insbesondere der Zweck der Beziehung - also das Erlangen eines Aufenthaltstitels - infrage gestellt und kriminalisiert. Sind Ehen in gewisser Hinsicht nicht immer mit einem Zweck wie etwa ökonomischen Vorteilen verbunden, demnach also "Zweckehen"?

Messinger: Ja, ich gehe davon aus, dass bei jeder Ehe zumindest eine Person in irgendeiner Weise profitiert und ein bestimmter Zweck verfolgt wird. Ist der Zweck ein Aufenthaltsvorteil, ohne den die Beziehung gar nicht gelebt werden kann, ist das kriminell - das ist scheinheilig. Auch bei ÖsterreicherInnen kann die Motivation zur Eheschließung im finanziellen Vorteil begründet sein. Ein gutes Beispiel dafür ist die staatliche "Heiratsbeihilfe", die es bis 1988 gab. Kurz vor ihrer Abschaffung haben zehntausende Paare geheiratet. Geheiratet wird heute zum Beispiel wegen eines steuerlichen Vorteils oder bei Wehrdienstleistenden wegen der erhöhten Unterstützung, doch das kontrolliert niemand und es hat auch keine Konsequenzen. Dass nur legalisierte Beziehungen mit Drittstaatsangehörigen als Aufenthaltsehen bzw. -partnerInnenschaften kriminalisiert wurden, lässt mich von einem institutionalisierten Rassismus gegen diese Gruppe sprechen.

Es gab auch Ehen im Nationalsozialismus, die nur auf dem Papier bestanden und die aus vergleichbaren Gründen eingegangen wurden, um die Aus- oder Weiterreise in Exilländer zu ermöglichen oder um den prekären Aufenthalt zu sichern. Damals konnten vor allem jüdische Frauen und andere Verfolgte davon profitieren, dass sie durch die Ehe geschützt waren. Diese Scheinehen werden rückblickend positiv bewertet, dabei waren sie damals auch nichts anderes als Zweckehen - mit dem Zweck, zu überleben. (Vina Yun, dieStandard.at, 5.12.2012)