Zum besseren Verständnis der Entwicklung des österreichischen Schulsystems in Folge ein kurzer historischer Rückblick zu den Anfängen.

1763 endet wieder einmal ein Schlesischer Krieg mit einer Niederlage des Hauses Habsburg. Misserfolgsevaluierung ist angesagt. Mit ein Grund für das Desaster: die Rechenschwäche der österreichischen Soldaten! Probleme etwa bereitet das Abzählen der Kanonenkugeln. An einigen Frontabschnitten stapeln sich diese, an anderen dagegen fehlen sie völlig.

Was hat Preußen, was Österreich nicht hat? Die Schulpflicht - bereits seit 1717! Das Ergebnis der habsburgische Analyse: alle müssen irgendwann für Kaiser & Vaterland kämpfen - daher tut die Schulbildung für alle not. 1774 kommt diese - ein halbes Jahrhundert nach jener in Preußen. Maria Theresia importiert prominente Bildungsexperten aus dem Ausland - und gerät darüber in Konflikt mit ihrem Sohn und Mitregenten Joseph II. Umfassende Bildung? Nein danke, diese bringt die Menschen auf staatsgefährdende Ideen! Die Schule soll lediglich jene Kompetenzen vermitteln, die für militärische und allenfalls für wirtschaftliche Erfolge vonnöten sind! Damit dies gesichert ist, werden pensionierte Unteroffiziere mit dem Unterricht betraut - mit den bekannten Folgen.

Militärisch geprägte Schule - bis heute

Stundeneinheiten, Pausenglocke, Schulhof, Disziplin und Gehorsam ja, eigenes Denken und Widerspruch nein, Tadeln ja, Loben nein, strenge Hierarchien - all dies verdanken wir den militärischen Niederlagen der Habsburgmonarchie. Kanonenkugeln und die Angst vor einem Zuviel an Bildung: sie standen Pate an der Wiege des österreichischen Schulwesens!

Nicht zufällig heißt es, dass niemand seinen Genen entkommen kann. Die Gene und die allerersten Erlebnisse prägen unauslöschlich. Dies gilt für Menschen, doch auch für Institutionen. Gibt es eine Chance, diesem schulisch/militärischen Teufelskreis, der Erstprägung der Schule durch Krieg und Soldatentum zu entrinnen?

Ja - es gibt sie. Weitblickende Berater der Kaiserin empfahlen damals den Beginn der Schulpflicht mit vier Jahren. Man wusste von der jahrtausendalten Tradition im Judentum, die Schule mit drei oder vier Jahren behutsam zu beginnen - durch Geschichtenerzählen und dem gemeinsamen Plaudern über diese, durch das "sinnliche Erleben" von Schriftzeichen durch das gemeinsame Backen und Verzehren von Buchstaben in Honigkuchenform, von kleinen Exkursionen, von weiteren Unterrichts"maßnahmen" , die erstaunlicherweise den Erkenntnissen der modernen Erziehungswissenschaft entsprechen.

Doch die Magnaten lehnten die generelle Schulpflicht ab - zu bedeutend war die Kinderarbeit für die Wirtschaft des chronisch finanzklammen Habsburgerreiches. Das Ergebnis war ein Kompromiss - der Beginn der Schulpflicht mit 6 Jahren.

Preußen - doch eine späte Rache?

Entwicklungs- und Lernpsychologen sagen uns: je kindgerechter und je früher desto nachhaltiger lernt man. Zunehmend bewusst werden aber auch die Gefahren, die im unadäquaten Umgang mit Kleinkindern liegen. Es gilt, tagtäglich neu die kindesindividuelle Balance zwischen Unter- und Überforderung zu finden!

Kindergartentanten mutierten innerhalb weniger Jahre zu Pädagoginnen - völlig zu Recht wird ihre universitäre Ausbildung und eine entsprechende Bezahlung gefordert. Doch die Strukturen der Frühbildung? Diese verharren im Zustand jener Zeit, als alle - sowohl Eltern als auch Kindergartenbetreiber und die Mehrzahl der Kindergarten"tanten" - diese Einrichtung als eine Verwahranstalt sahen, in der jede quasivorschulische Aktion verpönt war. Zuständig für Kindergärten sind Bundesländer und Gemeinden, die über die Frage der Gebühren, über die Kindergartenpflicht, über buchstäblich jeden Aspekt endlos streiten.

Behutsame, frühe Schule ab vier

Beweisen wir doch ein einziges Mal Konsequenz! Früher sprach man von Kindergärten und Kindergartentanten. Heute nennen wir diese im Konsens PädagogInnen - und die Bildungsinstitution für Kinder ab vier muss daher heute folgerichtig Schule, und nicht Kindergarten heißen!

Die Lösung: die "behutsame frühe Schule"! Dies heißt: umfassende Zuständigkeit des Bundes, Kompetenzverlust für Länder und Gemeinden, den diese aufgrund der finanziellen Entlastung gerne in Kauf nehmen werden, Pflichtbesuch durch alle ohne Stigmatisierung Einzelner, besser gelingende Integration und Inklusion durch früheres Miteinander aller Kinder. Und dies im Zusammenwirken von LehrerInnen und KindergartenpädagogInnen - letztere ermöglichen einen Neubeginn der österreichischen Schule, der ihre jahrhundertealte militärische Prägung allmählich zum Schwinden bringen wird! Spätestens dann, nach knapp 300 Jahren, hat Österreich Preußen gegenüber in Sachen Schule Bedeutendes voraus! (Ernst Smole, 5.12.2012, derStandard.at, )