Feldkirch - Fortsetzung des ersten Zivilprozesses gegen das Kloster Mehrerau am Landesgericht Feldkirch: Wie gehabt zweifelt Kloster-Anwalt Bertram Grass an der Glaubwürdigkeit des Klägers, der angibt, vom ehemaligen Lehrer und Erzieher Emeran B., "Pater Johannes", wiederholt missbraucht worden zu sein. Der heute 58- Jährige, - er nahm an der Verhandlung nicht teil -, fordert vom Kloster 200.000 Euro Schadenersatz. Richterin Birgit Vetter will in diesem Prozess die Frage der Verjährung klären.

Ausgerechnet der auf Wunsch von Grass erneut in den Zeugenstand gerufene Prior des Klosters, Vinzenz Wohlwend, stützte die Aussagen des Klägers. Der beschuldigte Pater habe ihm gegenüber erklärt, den Kläger "leider auch" und "öfters missbraucht" zu haben. Der Prior sollte mit seiner Aussage die Verjährungstaktik des Anwalts stärken.

Bereits 2006 Andeutungen

Der Kläger habe bereits 2006 dem Prior gegenüber Andeutungen über sexuellen Missbrauch und über Ansprüche, die er geltend machen wolle, gemacht, sagte der Anwalt. Der Mann habe "Andeutungen gemacht, dass es in der Mehrerau nicht immer gut war", sagte hingegen der Geistliche. Der Kläger gibt an, dass er erst 2010 durch einen ORF-Bericht über eine Pressekonferenz des Abts zu Missbrauchsvorwürfen an die erlittene Gewalt erinnert wurde.

Ob es denn möglich sei, dass ein intelligenter Mensch sich 40 Jahre lang nicht daran erinnere, dass er missbraucht worden ist, will Grass von Gutachter Salvatore Giacomuzzi wissen. Ja, das sei möglich, sagt der Psychologe. Er erklärt die Unterschiede zwischen Verdrängung und Dissoziation.

Erinnerungen an Bedrohliches abgespalten

Bei traumatischen Erlebnissen, die als besonders bedrohlich und angstmachend empfunden werden, komme es zu einem speziellen Prozess der Abspeicherung im Gedächtnis. Erinnerungen an das Bedrohliche werden vom Bewusstsein abgespalten. Ein Zugriff auf dieses implizite Gedächtnis sei nicht willentlich möglich. Erst durch "Stimuli", die vom Betroffenen nicht steuerbar seien, könnten diese Erinnerungen abgerufen werden. Über 50 Prozent der Betroffenen erfahren solche Stimuli durch Medienberichte, das sei auch im Falle des Klägers so. Der Mann sei kein Simulant, sagte der Sachverständige.

Sanjay Doshi, Anwalt des Klägers, schlug dem Klosters erneut einen Vergleich vor. Grass will zwar mit dem Abt reden, äußerte aber Zweifel an der Wissenschaftlichkeit des Gutachtens. Kommt es zu keinem Vergleich, ergeht das Urteil schriftlich. (jub, DER STANDARD, 5.12.2012)