Wer die Residencia, das "Hotel" der Astronomen, besucht, muss natürlich nach dem berühmtesten Gast hier inmitten der chilenischen Atacama-Wüste fragen: Da wurde doch ein James-Bond-Film gedreht? Er hieß Quantum of Solace (2008). Das vom deutschen Architekturbüro Auer und Weber entworfene, 2002 fertiggestellte Haus stand im Film allerdings nicht in Chile, sondern in Bolivien, und ging gegen Ende dank Tricktechnik in Flammen auf. In einem Garten des ESO-Hauptquartiers in Santiago liegen heute noch zur Erinnerung einige jener Kunststoffsteine, die für die Dreharbeiten verwendet wurden. Eine Mitarbeiterin der Presseabteilung sagt verwundert: "Die dürfen keine echten Steine verwenden." Im Umfeld gäbe es ja eigentlich genügend.

Mehr gibt es über das Geheimagenten-Gastspiel nicht zu erzählen. Normalerweise wohnen in der Residencia ja Wissenschafter, Ingenieure und Verwaltungsangestellte der Europäischen Südsternwarte ESO. Sie müssen von hier zu den Teleskopen auf dem 2600 Meter hohen Cerro Paranal nur drei Kilometer mit dem Auto zurücklegen. Der Eingang der Residencia ist unscheinbar, führt direkt hinab zu einem üppigen Garten und einem Swimmingpool, wohl ein Ausgleich für die trockene Luft in der Wüste. Die Wissenschafter-Herberge hat 108 Zimmer mit jeweils 16 Quadratmetern und eine Großküche.

Fitnesscenter und Kapelle

Die einzige Verbindung zur Außenwelt ist eine Straße durch die Wüste. Essen und Mineralwasser werden mehrfach täglich angeliefert. Wasser zum Waschen kommt in großen Tanklastwagen, "Wer zu wenig Flüssigkeit zu sich nimmt, wird aufgrund der Trockenheit schnell Probleme bekommen", sagt ein ESO-Mitarbeiter. Kopfschmerzen, Schwindel, eine trockene Kehle seien die Folgen. Man ist hier natürlich Selbstversorger. Das Observatorium gleicht daher einer Wüstenstadt mit eigener Tankstelle und Gasturbine, mit der der Strom erzeugt wird. Flüssiger Stickstoff für die aufwändige Kühlung der Teleskope wird in einer eigenen Anlage hergestellt. Auf dem Gelände gibt es aber auch ein Fitnesscenter und eine kleine Kapelle. Bemerkung aus dem Off: "Den Glauben muss man hier also nicht am Eingang abgeben."

Vom Cerro Paranal aus erkennt man die Residencia kaum. Nur eine große Kuppel ragt aus dem Wüstenboden hervor. Man erzählt sich, dass die ESO das imposante Erscheinungsbild des Very Large Telescope VLT auf dem Berggipfel nicht stören wollte. Das weltweit größte optische Teleskop, bestehend aus vier einzelnen Units, die wie riesige silbergraue Fabrikhallen auf dem Paranal thronen, ist die Wunschmaschine der meisten Astronomen.

Zweimal pro Jahr gibt es eine Ausschreibung für Beobachtungsanträge. Jedes Mal erhält die ESO mindestens tausend sogenannte "Proposals" aus den Mitgliedsstaaten - darunter sind auch Anträge für die anderen Teleskope auf dem Paranal (Vista, VST) und für das weiter südlich gelegene, älteste Observatorium der ESO in Chile, das 1969 auf dem Berg La Silla eröffnet wurde. Die Mehrheit will aber ans VLT. Nur ein Bruchteil der Beobachtungsanträge wird im Wettbewerb von einer Jury ausgewählt - und meistens im Service-Mode abgearbeitet: Wissenschafter der ESO führen die Beobachtungen für die Antragsteller aus. Seltener werden die Astronomen eingeladen, die Beobachtungen selbst durchzuführen.

Die vergebene Chance

"Das ist auch mit einem großen Risiko verbunden", weiß die Portugiesin Paula Stella Teixeira, die drei Jahre bei der ESO arbeitete und nun am Institut für Astronomie der Universität Wien tätig ist. "Wenn bei einem Besuch auf dem Paranal das Wetter nicht gut genug ist für die geplante Beobachtung, dann ist die Chance vergeben." Das sei ihr selbst schon einmal passiert. Im Service-Mode können die ESO-Wissenschafter einen anderen Beobachtungsantrag vorziehen, der auch bei schlechterem Wetter abgewickelt werden kann.

In der Residencia wird untertags um Ruhe gebeten - weil Astronomen nach einer Nachtschicht ausschlafen müssen. Abends wird das "Hotel" durch Vorhänge und Jalousien verdunkelt. Fenster werden durch Holzblenden verdeckt. Nicht die geringste Lichtverschmutzung soll die Arbeit auf dem Paranal behindern. Deswegen müssen Abendspaziergänger auch Taschenlampen bei sich haben, wenn sie sich nicht auf die Leuchtkraft der Sterne verlassen wollen. Und Mitarbeiter, die zu den Teleskopen fahren, schalten das Licht nicht ein. Kleine Lampen am Straßenrand sorgen für eine unfallfreie Fahrt. Der Sonnenuntergang ist hier der Moment, auf den alle warten. Im silbergrauen VLT spiegeln sich die Farben der immer tiefer stehenden Sonne. Sobald sie sich verabschiedet hat, legt sich ein rotes Band an den Horizont.

Währenddessen haben sich die einzelnen Teleskope langsam, gesteuert durch Astronomen im nahen Kontrollraum, geöffnet. Man nennt das hier dem Rahmen entsprechend "Opening", als handle es sich um den Beginn einer täglichen Show. Nüchtern betrachtet beginnt bloß die nächste Beobachtungsschicht. (Peter Illetschko, DER STANDARD, 05.12.2012)