Der "Press Freedom Award - Signal für Europa" wird jährlich an jeweils zwei Journalisten vergeben. Die Preisträger der vergangenen Jahre waren aus Russland und Ungarn - Länder, in denen rigorose Medienpolitik und Einschränkungen der Meinungsfreiheit regelmäßig für Aufsehen sorgen. "Doch es ist leicht, mit dem nackten Finger auf andere zu zeigen. Dieses Jahr wollten wir etwas tiefer nach Europa, in den Kern der EU sehen", sagt Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich. "Können Sie sich vorstellen, Artikel für 50 Cent oder acht Euro zu schreiben?", fragt Möhring. Sie spielt damit auf die prekäre Situation der italienischen Journalisten an. "In Italien gibt es einen kleinen, harten Kern, der angestellt ist. Aber etwa 100.000 freie Journalisten arbeiten für Billiglöhne. Sie leben oft hart an der Armutsgrenze."
Folgen der Berlusconisierung
Mit der Situation des italienischen Journalismus beschäftigt sich Alessia Cerantola. Ihr zunächst in der Zeitschrift des European Journalism Centre erschienener Artikel geht vom Freitod eines italienischen Kollegen aus. Dieser hatte in seinem Abschiedsbrief festgehalten, was ihn zu dieser extremen Tat bewegt hatte - die prekäre Arbeitssituation als Journalist. Von diesem Ausgangspunkt spinnt Cerantola eine Analyse des italienischen Journalismus. "Es gibt mehrere Wege, Journalisten zum Schweigen zu bringen. Man kann uns zum Beispiel töten oder bedrohen, wie das leider auch in vielen Ländern passiert. Aber man kann uns auch ausnützen, missbrauchen. Uns nicht die Ressourcen zur Verfügung stellen, damit wir unsere Arbeit richtig machen können. Und das passiert in Italien", sagt Cerantola. Bei einem Treffen mit dem Chef eines großen und bedeutenden Medienunternehmens Italiens soll dieser ihr zugestanden haben: "Wir würgen unsere eigenen Journalisten langsam ab."
Krank, aber noch nicht tot
Laudator Domenico Affinito, Vizepräsident von Reporter ohne Grenzen Italien, erklärt die Situation in Italien weiter: "Der italienische Journalismus ist krank, aber noch nicht tot. Interessenskonflikte, Selbstzensur, die Bedrohung durch organisiertes Verbrechen, niedrige Nachrichtenqualität, asymmetrische Ressourcenverteilung in der Medienlandschaft: Das sind nur einige Probleme, mit denen wir heute kämpfen - ein giftiger Cocktail für die moderne Demokratie."
Vergessene Geschichten
"Dieser Preis ist sehr wichtig, denn er bringt einen neuen Enthusiasmus für unsere Profession, die in der Krise steckt. Und er gibt uns das Signal, dass wir etwas richtig machen" meint Emanuela Zuccalá. Zuccalá wurde für ihren Io-Donna-Bericht über Verschleppung, Misshandlung und Folter der Saharawi-Frauen in Afrika ausgezeichnet. "Es war schwierig, zu recherchieren. Man wird, sobald man auffällt und Fragen stellt, in der Sahara vom marokkanischen Geheimdienst verfolgt, subtil unterwandert und die Arbeit sabotiert. Aber es ist wichtig, die Geschichte zu erzählen, eine vergessene Geschichte über ein vergessenes Volk."
Website gegen Zensur
Christophe Deloire, Generalsekretär der Pressefreiheitsorganisation in Frankreich, erklärt die Bedeutung solcher mitunter auch gefährlicher Arbeit: "In Burma etwa traf ich einen Journalisten, der 19 Jahre lang im Gefängnis saß. Er hat nie - auch mit der Aussicht auf ein Freikommen - darauf verzichtet, Journalismus und Politik zu machen. Denn die Pressefreiheit ist jene Freiheit, die die Durchsetzung aller anderen Freiheiten sichert."
Deloire hat gerade eine neue Website online gestellt. Auf wefightcensorship.org bietet sie Bloggern, Bürgerjournalisten und Journalisten die Möglichkeit, Texte (auf Französisch und Englisch) zu veröffentlichen, die sie in ihren Heimatländern wegen Zensur nicht publizieren können.
Im Gespräch mit dem STANDARD warnt er auch vor internationalen Versuchen, mit Einschränkungen für Religionskritik Meinungsfreiheit zu begrenzen. (red, fid, derStandard.at, 06.12.2012)