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Warum sind politische Systeme so korruptionsanfällig? Weit verbreitete Netzwerke tragen den Bazillus der Korruption in sich, meint Psychologe Karl Kriechbaum.

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Karl Kriechbaum: Auch Eltern, die ein Kind unter Druck setzen, um es aus einem persönlichen Bedürfnis heraus zu Höchstleistungen anzutreiben, sind korrupt. Oder ein Lehrer, der einen Schüler bestraft, nur weil er seine Ruhe haben will.

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STANDARD: Wie lässt sich Korruption definieren?

Kriechbaum: Nach der psychosozialen Definition ist Korruption Missbrauch von Macht zur Erzielung von eigenen Vorteilen zum Schaden anderer. Strafrechtlich trifft dies vor allem auf Amtsträger und Politiker zu.

STANDARD: Alle anderen sind davor gefeit?

Kriechbaum: Keinesfalls. Auch Eltern, die ein Kind unter Druck setzen, um es aus einem persönlichen Bedürfnis heraus zu Höchstleistungen anzutreiben, sind es. Oder ein Lehrer, der einen Schüler bestraft, nur weil er seine Ruhe haben will. Auch das ist Korruption, wenn den Betroffenen dadurch Nachteile entstehen.

STANDARD: Politiker zeigen sich offenbar besonders anfällig für Korruption. Warum ist das so?

Kriechbaum: Weil oft jene Persönlichkeiten Politiker werden, die den Drang haben, ihre in der Kindheit entstandenen latenten Minderwertigkeitsgefühle durch übersteigertes Streben nach Anerkennung, Bedeutung und Einfluss zu kompensieren.

STANDARD: Solche Menschen strahlen aber sichtbar eine große Attraktivität aus, sondern würden sie ja nicht gewählt. Wie erklärt sich das?

Kriechbaum: Abhängige und passiv anerkennungsbedürftige Menschen halten sich an den vermeintlich starken, erfolgreichen, attraktiven, dominanten Persönlichkeiten fest. Sie himmeln diese oft an, verehren sie geradezu und heben damit zumindest kurzzeitig ihren eigenen schwachen Selbstwert in lichte Höhen. Und sie wählen diese immer wieder, bis zum bitteren Ende.

STANDARD: Wenn bei korrupten Menschen eine Persönlichkeitsstörung vorliegt, die in der Kindheit ihren Anfang nimmt, warum tut man nichts dagegen. Zum Beispiel, indem man diesen Kindern im Kindergarten oder in der Schule hilft, ihre Defizite auszugleichen?

Kriechbaum: Das wäre natürlich möglich, man müsste dabei auch das familiäre Umfeld einbeziehen. Ich fürchte aber, dass unsere Politik kein großes Interesse daran hat, dass sich unser Nachwuchs halbwegs normal entwickelt. Weil störungsfreie und mündige Menschen so ein System, wie wir es in Österreich haben, bald abwählen würden. Ein gestörtes System wählen nur nicht ganz störungsfreie Leute.

STANDARD: Warum sind die politischen Systeme so korruptionsanfällig? Woran liegt es?

Kriechbaum: Zum großen Teil liegt es an den weitverbreiteten Netzwerken. Diese tragen den Bazillus der Korruption in sich. Netzwerke haben in der Regel den Sinn, ihren Mitgliedern Vorteile zu verschaffen - zum Nachteil der Nichtmitglieder. Je länger Netzwerke bestehen, desto größer ist naturgemäß die Gefahr, dass die Krankheit "Korruption" ausbricht. Politische Parteien sind aufgrund ihrer Machtfülle prädestiniert dafür.

STANDARD: Es hat den Anschein, dass in Österreich der Korruptionssumpf besonders tief und trüb ist. Woran liegt das?

Kriechbaum: Es liegt wohl zu einem gewissen Grad in der Mentalität der Österreicher. Das verkrustete, marode Parteiensystem sowie der alte, aufgeblähte Verwaltungsrat tragen sicherlich noch das ihre in hohem Maß dazu bei.

STANDARD: Ist jeder Politiker oder Funktionär, der seine staatspolitische Macht nutzt, um parteipolitische, gewerkschaftliche oder berufspolitische Vorteile zu erzielen, korrupt?

Kriechbaum: Ja, natürlich. Das tun fast alle. Und das ist eines der ganz großen Übel in fast allen Staaten dieser Welt. Griechenland, Italien, Spanien usw. sind aufgrund korrupter Verhaltensweisen an den Rand des Ruins gekommen. Und Österreich ist, wenn es so weitermacht, auch irgendwann dran. Korruption ist die Wurzel fast allen Übels - ob Bereicherung, Misswirtschaft, Unterdrückung, Tyrannei oder Kriege.

STANDARD: Was für Mittel gäbe es, der politischen Korruption beizukommen?

Kriechbaum: Es bedürfte einerseits in regelmäßigen Abständen einer desinfizierenden Reinigung, zum Beispiel durch Austausch der Personen - und andererseits einer Reform des politischen Systems. Dazu gehört, dass nicht länger überwiegend Mitglieder politischer Netzwerke Abgeordnetenmandate oder Ministerposten bekommen können, sondern alle Staatsbürger. Die potenziellen Kandidaten dafür müssten wie in der guten Wirtschaft üblich, ein faires Auswahlverfahren, durchlaufen.

STANDARD: Aber wenn sich das Rad immer weiter dreht und Macht korrupt macht, dann dauert es nicht lange, bis diese neuen Politiker auch die alten Wege beschreiten ...

Kriechbaum: Natürlich bedarf es auch eines kategorischen Verhaltenskodex-Systems, was ich seit Jahren als Berater für Firmen gemeinsam mit den Betroffenen entwickle. Klare, konstruktive Regeln, eine verbindliche Qualitätssicherung und verbindliche Konsequenzen. Umgelegt auf die Politik: Wenn dann Abgeordnete als unabhängige, kompetente, engagierte Fulltime-Worker mit angemessener Entlohnung agieren und nicht als willfährige Handlanger der Parteizentralen oder lobbyierende Nebenbeschäftigte, macht das einen großen Unterschied.

STANDARD: Wo nehmen Sie die Hoffnung her, dass es Menschen gibt, die jenseits eigener Machtinteressen sich als "gute" Politiker engagieren wollen?

Kriechbaum: Vor allem als Vertreter der Initiative "Recht auf professionelle Politik & geeignete Politiker" komme ich mit sehr vielen politisch Interessierten und Engagierten zusammen. Darunter gibt es nicht wenige, die kompetent und anständig sind und liebend gerne ein politisches Amt ausüben würden. Nur haben sie beim derzeitigen System keine Chance, jemals auf die Liste einer Systempartei gesetzt zu werden. Weil sie ja grundlegende Reformen anstreben, die die Etablierten fürchten wie der Teufel das Weihwasser. (Karin Tzschentke, Portfolio, DER STANDARD, 5.12.2012)