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Niklas Perzi: mehr Ursachenforschung statt Spott und Häme.

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Gruppenbild mit Gut und Böse: Gibt es Parallelen zwischen dem politischen "Gottseibeiuns" mit dem K und dem mit dem F vor dem P?

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Graz in Rot, Prag in Grau. Wie immer im Dezember verschwindet die tschechische Hauptstadt im Smog. Der Rückgang der Industrieemissionen in den vergangenen Jahren wurde durch den rasanten Anstieg des Individualverkehrs mehr als wettgemacht. Prag in rot? Zumindest die Regionen des Landes sind nach den herbstlichen Kreiswahlen politisch tief rot eingefärbt und die Kommunisten dort auf die Regierungsbänke zurückgekehrt. Die Umfragen sagen auch für die nächsten Parlamentswahlen eine sozialdemokratisch-kommunistische Mehrheit voraus. Die rechte Sammelpartei ODS, seit 1991 dominierende Kraft der tschechischen Innenpolitik, steckt nach herben Verlusten in einer tiefen Krise, die TOP 09 von Karel Schwarzenberg wurde auf die Rolle der Vertretung des rechtsliberalen Wählerspektrums zurückgestutzt.

Der Linksruck in Tschechien erscheint als eine Reaktion auf die radikalen Sparmaßnahmen der amtierenden Mitte-Rechtsregierung von Petr Necas (die in Österreich wohl völliges Unverständnis ausgelöst hätten) und dem nur rudimentär eingelösten Versprechen, mit der Korruption Schluss zu machen. So weit, so logisch. Doch während der Wahlerfolg der Grazer KP in Österreich sogar von der Kronen-Zeitung positiv kommentiert wurde, schlägt der tschechischen KP erbitterte Ablehnung entgegen - allen voran von Seite der "Inteligencia", die sich in Österreich wohl fast schon reflexartig als "eher links" einordnet und nach Graz mit viel Sympathie blickt. Das intellektuell-künstlerische tschechische Milieu tickt indes rechts, holt einmal im Jahr in Prag statt der roten die Kaiser-Franz-Josefs Fahnen hervor und lädt zum Marsch für die Monarchie. Verkehrte Welt?

Es ist eben mehr als die Reaktion auf eine rechte Regierung, die den tschechischen Wählerprotest konträr zum Trend in Österreich (sieht man von Graz ab) nach links ausschlagen lässt. Die Gründe liegen weit in der Vergangenheit eines Landes, das schon am Ende des 19. Jahrhunderts industriell hoch entwickelt und gesellschaftlich modernisiert war. Während sich in der Zwischenkriegszeit überall in "Zwischeneuropa" (einschließlich Österreichs) reaktionäre (Halb-)Diktaturen etablierten, blieben die Faschisten in Böhmen und Mähren unbedeutend. Die politische Vertretung des nationalistischen Spektrums blieb den nationalen Sozialisten, die jedoch im Unterschied zu ihrem (sudeten-)deutschen Pendant Rassismus und Führerkult nicht übernahmen. Nach 1945 sprangen die übernationalen Kommunisten zwar mit viel Bauchweh, aber dafür umso radikaler auf die Welle des (antideutschen) Nationalismus auf und präsentierten sich als "Vollender" der nationalen und sozialen Traditionen. Nach der Niederschlagung des "Prager Frühlings" wurde in den 1970er-Jahren Loyalität nicht durch kommunistische Parolen, sondern durch den Aufbau eines paternalistisch-autoritären Wohlfahrtsstaates generiert. Die tschechische KP von heute ist in ihrem radikalen Antichic viel mehr eine ultratraditionelle, soziale Wärmestube mit viel nationalem Beigeschmack als eine neomarxistische Linkspartei, ergänzt um viele Proteststimmer, die ihr nicht wegen, sondern trotz des K-Wortes zufallen. (Und auch die steirische KP erinnert im Habitus mehr an eine traditionellere, "bessere" SP und ist deshalb erfolgreicher als die irgendwie alternativ-links auftretende Bundes-KP, die sich hierin mit den Grünen matcht. Ihr theoretisches Programm ist den meisten wahrscheinlich weder bekannt noch bewusst)

Die Parallelen in den Mechanismen zur Bewältigung von Vergangenheit und Gegenwart zwischen Österreich und Tschechien sind politisch verkehrt gespiegelt. Wenn nach 1989 der tschechische "Kommunismus" zur sowjetischen Importware erklärt wurde, der nur durch Gewalt an die Macht kam und sich dort 40 Jahre lang halten konnte, ohne an die vielen fein gesponnenen Netze und Narrative zu denken, die zur Herrschaftssicherung beigetragen haben, so erinnert dies an die österreichische Nachkriegserzählung vom Nationalsozialismus als allein deutsche Angelegenheit, mit der die österreichische Gesellschaft nichts zu tun hatte. Beide Narrative waren aus der Sicht ihrer Produzenten, die aus Dissens oder Widerstand und KZ gekommen sind, aus vielerlei Gründen verständlich, trugen jedoch kaum zu historischen (Er-)Klärungen bei.

Politisch erinnert der Aufstieg der tschechischen KP und die Antworten darauf an die österreichischen 90er-Jahre und die Haider-FPÖ, auch wenn die tschechische KP von einem modernen Erscheinungsbild weit entfernt ist und auch über keinen charismatischen Leader verfügt. Aber in beiden Fällen traten "Uraltparteien" als neue "Anti-System"-Bewegungen auf, die nicht wegen, sondern trotz ihrer Vergangenheit gewählt werden, wenn sie nur den Zorn auf die Mächtigen glaubhaft verkörpern.

Deshalb begreift man auch die neue Qualität des Protestes nicht, wenn man diese als bloße Wiedergänger historischer Erscheinungen beschreibt und als solche moralisch delegitimieren will. Ex-Havel Berater Jiri Pehe wies darauf hin, dass sich die amtierende tschechische Regierung zwar als Bollwerk gegen die Kommunisten geriert, diesen gleichzeitig aber durch ihre Politik die Wähler zutreibt.

Kritiker werfen dem rechten medialen und intellektuellen Mainstream Heuchelei vor, wenn dieser im Fall der Zusammenarbeit der KP mit den Sozialdemokraten den Antikommunismus hervorholt, aber nicht bei politischen Tauschgeschäften mit den Rechten. Erinnert dies nicht auch - wiederum gespiegelt - an Österreich, als die FPÖ (mit historisch weitaus mehr belastetem Personal) so lange kein Problem darstellte, als sie als tatsächlicher oder potenzieller Mehrheitsbeschaffer der SPÖ diente und der "antifaschistische Karneval" (Rudolf Burger) erst bei der Koalition mit der ÖVP ausbrach? In beiden Fällen wurde die Moral jedenfalls relativ selektiv instrumentalisiert.

Von zweifelhaftem Wert ist auch hier wie dort das Ausgießen von Spott und Häme über die Wählerschaft, anstatt politische und soziale Ursachenforschung zu betreiben. Diese wird gänzlich verfehlt, wenn in einem Aufwaschen auch gleich der tschechischen Sozialdemokratie oder der österreichischen Christdemokratie die moralische Existenzberechtigung abgesprochen wird. Eine konservative Gesellschaftspolitik war und ist in Österreich nicht der erste Schritt hin zum Faschismus, soziale Regulative sind in der tschechischen Marktwirtschaft "ohne Adjektive" nicht die ersten Vorboten des Gulags.

PS: Und auch rund um Graz droht nicht die Errichtung des Eisernen Vorhangs. (Niklas Perzi, DER STANDARD, 07.12.2012)