In gewissen Fragen sollten Eltern an einem Strang ziehen - aber nicht gegen die Kinder.

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Im Frühjahr bestreitet Jesper Juul mehrere Vorträge und Workshops in Österreich.

Foto: Family Lab

Diese Serie entsteht in Kooperation mit Family Lab Österreich.

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Ein User fragt:

Welche Auswirkungen kann es für meine Kinder haben, wenn es zwei verschiede "Erziehungsstile" in der Familie gibt? Können Kinder damit umgehen, wie sie es auch bei anderen Erwachsenen tun - zum Beispiel bei der Oma oder bei Lehrern?

Jesper Juul antwortet:

Diese Frage beschäftigt viele Eltern. Darum möchte ich meine Antwort möglichst allgemein halten. Vor gar nicht so langer Zeit wurde von Experten noch empfohlen, dass Eltern sich in Erziehungsfragen immer einig sein sollen. Ein Grund dafür war, dass für viele Eltern der tägliche Umgang mit den Kindern zu einem permanenten Machtkampf wurde. Deshalb, so der Rat, sollten Eltern gegenüber ihren Kindern in vereinter Front auftreten. Allerdings war es in diesen System den Kindern nicht erlaubt, diesen "Kampf" zu gewinnen.

Heute sind wir klüger und beginnen zu verstehen, dass lediglich ein Aspekt Sinn macht - nämlich die elterliche Führung. Wenn Kindern die Führung überlassen wird, können sie nicht gedeihen und sich nicht zu gesunden Menschen entwickeln.

Eltern sind unterschiedlich

Der Zugang, dass Kinder Eltern brauchen, die sich in allem einig sind, ist veraltet. Es ist eine Tatsache, dass Menschen verschieden sind. Auch Eltern haben unterschiedliche Geschichten, eigene Persönlichkeiten und in den meisten Fällen ein unterschiedliches Geschlecht. Sie können sich grundsätzlich einig sein. Doch im täglichen Umgang miteinander zeigen sich ihre Eigenheiten. Das sollte auch so sein.

Die einzige Alternative dazu wäre, einen "Chef" zu ernennen. Was zur Folge hätte, dass der oder die andere zum Assistenten, zum Hausmädchen oder Bediensteten degradiert wird. So ist Gleichheit zwischen den Eltern nicht möglich.

Wo sich Eltern einig sein sollten

Kinder können auf wunderbare Weise mit der Verschiedenheit ihrer Eltern umgehen. Sie fühlen sich dadurch weder unsicher noch verwirrt, wie wir früher immer gedacht haben. An einem Punkt sollten sich Eltern allerdings einig sein. Nämlich darin, dass es in Ordnung ist, unterschiedlich zu sein.

Es ist eine interessante Erfahrung für uns Erwachsene, dass wir automatisch viele Dinge von unseren Eltern übernehmen, die wir nicht übernehmen wollten. Wir alle machen das bis zu einem gewissen Grad, auch wenn wir versuchen, es zu vermeiden. Erwachsene sollten sich deswegen nicht gegenseitig beschuldigen oder sich schuldig zu fühlen. Allerdings sollten wir dieses Verhalten reflektieren und versuchen, damit aufzuhören.

Kinder brauchen Eltern, die sich wertschätzen

Wenn die individuellen Unterschiede zwischen den Eltern zu Streit und Konflikten führen, so ist das eine gute Gelegenheit, sich über seine eigene Kindheit Gedanken zu machen und diese mit dem Partner zu teilen. So lassen sich unfruchtbare Diskussionen über die richtige Art, Vater oder Mutter zu sein, vermeiden. Stattdessen können Sie herausfinden, welche Art von Eltern Sie sind - und warum das so ist.

Bei Gesprächen über Erziehungsfragen sollte es nicht darum gehen, wer letztlich gewinnt, sondern welche Bedingungen die besten für die Kinder sind. Kinder profitieren davon, eine Mutter und einen Vater zu haben, die sich in ihrer Elternrolle wohlfühlen, die sich gegenseitig - und ihre Unterschiede - wertschätzen.

Der Streit um die richtige Einstellung

Es ist ein großer Unterschied, ob Eltern verschieden sind oder andere Einstellungen haben. Andere Einstellungen zu haben bedeutet, sich bei Werten, Prinzipien oder Ideologien zu widersprechen.

Es geht in den Auseinandersetzungen über Einstellungen meist darum, die Meinung des oder der anderen als „falsch" darzustellen und die eigene als „richtig. Für Kinder ist es nicht gut, mit solchen Auseinandersetzungen zwischen den Eltern aufzuwachsen.

Was können Sie tun?

Kindererziehung ist wie eine bunte Schachtel Süßigkeiten: Da finden sich Stücke unserer eigenen Erziehung, unterschiedliche Theorien und Einstellungen zur Elternschaft in Kombination mit unserer Einzigartigkeit, Verschiedenartigkeit, unseren Werthaltungen, Meinungen und dem Wunsch, die Dinge nach unserem Geschmack zu beeinflussen. Deshalb ist es sinnvoll, strukturiert vorzugehen.

Folgende Fragen sollten Sie sich stellen: Wofür stehe ich - und warum? Wofür steht mein Partner - und warum? Geht es bei den Gesprächen mit dem Partner oder der Partnerin wirklich um Erziehungsfragen und um unsere Kinder - oder geht es eigentlich um etwas anderes? Verhalte ich mich selbst so, wie ich es für richtig halte? Liegt das Problem beim Kind oder bei uns als Eltern? Können wir uns als Eltern darauf einigen, dass wir manches anders machen wollen?

Das Problem unsicherer Eltern

Kindererziehung ist ein gegenseitiger Lernprozess. Es nützt Eltern nichts, sich in einer Sache einig zu sein, wenn die Kinder darauf negativ reagieren oder deswegen unglücklich, frustriert, aggressiv oder traurig sind. Dann müssen die Eltern ihre gemeinsamen Ansichten noch einmal genauer betrachten, bis die Kinder ihre Fröhlichkeit und Begeisterung wiederhaben.

Es ist weder angenehm noch gut für Kinder, wenn ihre Eltern ständig unsicher, ratlos oder starrsinnig sind. Das gibt ihnen das Gefühl, einsam und isoliert zu sein und ignoriert zu werden. Regelmäßige Auseinandersetzungen und Machtkämpfe zwischen Eltern erzeugen bei Kindern Unsicherheit, Angst und das Gefühl, schuldig zu sein. In diesem Fall ist es eine gute Idee, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen - dem Wohlbefinden der ganzen Familie zuliebe. So lässt sich vermeiden, dass ernsthaft etwas schiefgeht. (Jesper Juul, derStandard.at, 9.12.2012)