Wien - Der aufrechte Gang ist ein wichtiges Merkmal am Anfang der Entwicklung des Menschen. Das dazu bisher vergebens gesuchte fossile Bindeglied zwischen vier- und zweibeinigem Gang existiert möglicherweise aber gar nicht. Diese Hypothese formulierte der Leiter der Paläoanthropologie im Forschungsinstitut Senckenberg in Frankfurt/Main, Friedemann Schrenk, im Zuge des Symposiums "Geowissenschaften aktuell" der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Umweltveränderung löste Entwicklungsschub aus

Der tropische Regenwald in Afrika reichte ursprünglich von der Westküste bis zur Ostküste des Kontinents. Vor ca. 20 Millionen Jahren bildete sich dort das Ostafrikanische Grabensystem aus, dessen Fortsetzung Richtung Süden seit ca. sieben Millionen Jahren. Die dadurch entstandenen Riftschultern, die stellenweise bis zu 5.000 Meter hoch waren, veränderten das lokale Klima sehr stark. Eine zusätzliche, generelle Abkühlung führte letztlich dazu, dass sich der tropische Regenwald auf sein heutiges Verbreitungsgebiet reduzierte und durch Buschsavannen ersetzt wurde. Dieses Gebiet soll schließlich der Ursprung der Entwicklung des aufrechten Ganges vor fünf bis acht Millionen Jahren gewesen sein.

Eine von vielen guten Hypothesen laut Schrenk: Die Nahrungsquellen des tropischen Regenwaldes seien durch solche rund um Gewässer in der Savanne ersetzt worden. "Diese Vormenschen konnten zwar nicht schwimmen, aber sie konnten sich aufrichten. Man nimmt an, dass sie in den Gewässern nach Nahrung gesucht haben, und je weiter sie in diese Gewässer hineingingen, umso weiter richteten sie sich auf, wodurch schließlich der aufrechte Gang entstanden ist" erklärte der Wissenschafter die betreffende Hypothese. Diese steht im Kontext der umstrittenen "Wasseraffen-Theorie", ist allerdings nur einer von mehreren Erklärungsversuchen.

Zweibeiniger Gang vielleicht mehrfach entstanden

Der Fossilien-Beleg ist nicht eindeutig, da die Überreste verschiedener Spezies Anzeichen eines aufrechten Gangs zeigen. Der zweibeinige Gang lasse sich unter anderem am Großem Hinterhauptloch (Foramen magnum), erkennen, so Schrenk. Bei Wirbeltieren mit vierbeinigem Gang befindet sich dieses am hinteren Ende des Schädels, während es bei den auf zwei Beinen laufenden Hominiden am unteren Ende des Schädels sitzt.

Das führt zur Frage, welcher dieser gefundenen zweibeinigen Vormenschen den aufrechten Gang "erfunden" hätte. Schrenk vermutet, dass der aufrechte Gang mehrmals entstanden sein könnte, sowohl bei unseren direkten Ahnen als auch bei einigen von deren Verwandten, die zu anderen Entwicklungslinien führten als der unseren. "Wieso soll er denn nur einmal entstanden sein, wenn er eine sinnvolle Strategie in diesem Lebensraum zu sein scheint? Ich weiß, das klingt etwas provokativ, aber je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr glaube ich das", so Schrenk. (APA/red, derStandard.at, 7. 12. 2012)