Angela Schneider spricht für die Wiener Linien die neuen Durchsagen. Die Umstellung erfolgt Schritt für Schritt. Mitte des Jahres 2013 sollen das gesamte Öffi-System und die Fahrgäste nach ihrer Stimme tanzen.

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Schneider folgt auf Franz Kaida, der über 40 Jahre das Klangbild der Wiener Linien prägte.

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Schneider bei den Aufnahmen im Studio. Ihr Vertrag mit den Wiener Linien ist langfristig, pro Jahr wird es mehrere Termine geben.

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Wien - Ihre Stimme werden bald Millionen kennen, Hunderttausende werden täglich von ihr begleitet. Angela Schneider ist die personifizierte Umstellung der Wiener Linien auf ein neues Klangbild. Die 49-jährige Schauspielerin spricht die neuen Durchsagen. Der Startschuss fiel am Sonntag in den U-Bahnen, in den nächsten Wochen folgen Straßenbahnen und Busse. Im Interview mit derStandard.at erzählt Schneider, wie sie zu dem Job gekommen ist und wie sie mit den Reaktionen umgehen wird.

derStandard.at: Sie haben sich für den Job als Stimme der Wiener Linien nicht beworben, sondern wurden nominiert. Wie war das Auswahlverfahren?

Schneider: Nominiert ist zu viel gesagt. Ich habe im Sommer über ein anderes Studio zwei Dokumentationen für die Wiener Linien gesprochen. Ich wurde in einen Topf mit möglichen Stimmen geworfen. Der Soundmanager hat sich insgesamt 80 angehört. Dann wurde eine Auswahl von zehn Stimmen getroffen, die Personen wurden zu Probeaufnahmen geladen. Zum Schluss blieben zwei Stimmen übrig. Dann wurde öffentlich abgestimmt.

derStandard.at: Wie war das für Sie? Sie haben das Rennen mit zwei Dritteln der Stimmen gemacht.

Schneider: Das heißt nicht, dass die andere Sprecherin nicht gut ist. Mir war diese Öffentlichkeit anfangs überhaupt nicht bewusst. Ich habe gedacht, es wird nur innerhalb der Wiener Linien abgestimmt. Mir hat dann jemand mitgeteilt, dass ich beim Voting in Führung liege, erst dann habe ich mir das genauer angesehen. Man schiebt das eher weg und wartet auf die Entscheidung.

derStandard.at: Was hat für Ihre Stimme gesprochen?

Schneider: Ich weiß es nicht. Das sind Dinge, die man nicht erklären kann, man kommt einfach an. Unsere Stimmen waren sogar ähnlich. Zum Job eines Schauspielers gehört Sprechen. Ich bin froh, dass jemand aus meiner Zunft gewonnen hat. Auch um zu überleben, gehören solche Sprecherjobs dazu. Und dieser Job freut mich natürlich besonders.

derStandard.at: Haben Sie eine eigene Ausbildung als Sprecherin absolviert oder ist das einfach Teil des Schauspielens?

Schneider: Als Schauspielerin bekommt man eine Sprecherausbildung mit. Bei Kursen bin ich eher skeptisch. Das jahrelange Training auf der Bühne macht das Handwerk aus.

derStandard.at: Bei Ihnen sind das zwei Schienen? Auf der einen Seite die Schauspielerei und auf der anderen Seite die Tätigkeit als Sprecherin?

Schneider: Ich arbeite seit 26 Jahren als Schauspielerin, daneben bin ich seit 13 Jahren künstlerische Mitarbeiterin beim Sessler Bühnenverlag. Mit flexibler Arbeitszeit, sonst würde sich das nicht vereinbaren lassen. Es ist eine Art von Balance, um nicht in diesen ständigen Strudel von Schauspielern zu geraten. Was ist nach der letzten Vorstellung? Wie geht es weiter? Ein weiterer Job ist der für das Salzburger Museum, für das ich die Audio-Guides für viele Ausstellungen mache. So bastle ich mein Berufsleben zusammen.

derStandard.at: Ist das nicht schwierig, alle Jobs unter einen Hut zu bringen?

Schneider: Doch, wenn zum Beispiel alles zusammenkommt. Die letzten vier Monate etwa waren wirklich heavy, aber ich kann mit meinen Kräften recht gut haushalten. In einem künstlerischen Beruf kann man sich das nicht so leicht aussuchen. Da gibt es dann halt kein Wochenende, das ist einfach so.

derStandard.at: Zurück zu den Wiener Linien. Wie viele Durchsagen haben Sie bis jetzt gesprochen?

Schneider: Ich kann das nicht abschätzen. Wir haben bis jetzt einige Termine gehabt, weitere folgen. Immer mit Abstand, weil das an die technischen Neuerungen angepasst werden muss. Das geht nur peu à peu. Im März sollte es abgeschlossen sein. Wenn man das etappenweise macht, geht mit konzentrierter, effektiver Arbeit sehr viel an einem Termin.

derStandard.at: Wie kann man sich das vorstellen? Wie viele Durchsagen gehen zum Beispiel in fünf Stunden?

Schneider: Das kann ich nicht genau sagen. Die Termine dauern meistens drei Stunden, sind aber wirklich intensiv. Dieses Pensum lässt sich dann auch technisch gut bearbeiten. Wenn man nur Stationsnamen sagt, kann man in relativ kurzer Zeit sehr viel schaffen. Zuletzt waren die Durchsagen auf Englisch an der Reihe.

derStandard.at: Wie oft sprechen Sie Durchsagen ein? Zum Beispiel Stationsnamen?

Schneider: Manchmal passt es beim ersten Anlauf, manchmal wiederholt man es gleich, manchmal erst beim nächsten Termin, falls es nicht gut war. Meine Stimme gebe ich einem Sprachsystem, einem Klangkonzept.

derStandard.at: Die Umstellung soll im März abgeschlossen werden, danach wird es immer wieder Adaptierungen geben müssen. Welchen Vertrag haben Sie?

Schneider: Es handelt sich um einen langfristigen Vertrag. Man will ja nicht jedes Jahr eine neue Sprecherin engagieren. Ich kann das sicher nicht so lange machen wie Herr Kaida (gut 40 Jahre, Anm.), weil ich jetzt schon in einem anderen Alter bin. In meinem Berufsleben habe ich nie den Anspruch gehabt, etwas ewig zu machen. Zehn Jahre sind auf jeden Fall einmal geplant, dann wird man sehen. Ich werde es aber wohl nicht machen, bis ich ins Grab falle.

derStandard.at: Wie wird das Gefühl für Sie persönlich, in der U-Bahn zu sitzen und die eigene Stimme zu hören?

Schneider: Prinzipiell ist es für Schauspieler komisch, sich zu hören oder sich zu sehen, andererseits ist das auch kein Mysterium. Dieser Job ist schon etwas Spezielles, das wird mir immer mehr bewusst. Es betrifft eine breite Öffentlichkeit, für die das offensichtlich ein emotionales Thema ist. Ich mache mich auf alles gefasst. Die Wiener Linien haben das sehr gut gemacht, weil sie die Fahrgäste in Form der Abstimmung einbezogen haben. Am Anfang habe ich dieses Aufsehen nicht bedacht. Ich habe gedacht, ich gehe einfach ins Studio, spreche das, und dann hört man halt meine Stimme. Erst später ist mir bewusst geworden, dass das täglich tausende Menschen hören werden. Es ist Teil der Identität.

derStandard.at: Dementsprechend viele Reaktionen der Fahrgäste wird es wohl geben.

Schneider: Ich rechne mit Lawinen, positiven und negativen Reaktionen. Jene, die etwas gut finden, teilen dies allerdings seltener mit. Man muss das auf die breite Masse hochrechnen, und ich werde das nicht persönlich nehmen, was auch immer kommt. Veränderung macht die Leute skeptisch, die Wiener erst recht. Im besten Fall wird es bald zum Gewöhnungsfaktor.

derStandard.at: Das heißt, sie nehmen sich vor, Kritik nicht persönlich zu nehmen?

Schneider: Auf jeden Fall. Ich werde mich hören und vielleicht bei einigen Durchsagen selbst denken: Das hätte ich besser machen können. Da bin ich sehr selbstkritisch. Ich mache meine Arbeit, so gut ich kann. Im besten Fall gefällt es den meisten Leuten, das würde mich natürlich freuen. Hinter dem gesamten Konzept stecken ja viele Überlegungen und viele Wünsche, die berücksichtigt wurden. Wenn es jetzt insgesamt etwas knapper klingt, dann deshalb, weil die Leute nicht vollgequasselt werden wollen.

derStandard.at: Wichtig war also, nicht nur die Stimme auszutauschen, sondern das gesamte Konzept zu erneuern?

Schneider: Absolut. Es gibt neue Einspieltöne, vieles wird einheitlicher gemacht. Das ist ein Riesending an Erneuerung, auch in technischer Form. Da geht es nicht um Herrn Kaida oder um Frau Schneider, sondern um ein neues Konzept. Und ich bin ein kleiner, aber sehr breit hörbarer Teil dieser Erneuerung.

derStandard.at: War das ein wichtiges Kriterium, dass Sie gebürtige Wienerin sind?

Schneider: Ich weiß nicht, ob das Voraussetzung war, auf jeden Fall wollten sie keine importierten Klänge haben. Ein Sprecher klingt schnell einmal zu deutsch, auch österreichische Dialektfärbungen sind problematisch. Die Stimme muss auch für Touristen gut geeignet sein. Privat soll man reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist, aber auf der Bühne sollte man meiner Empfindung nach eine neutrale Hochsprache haben.

derStandard.at: Kristallisieren sich im Rahmen des Einsprechens Lieblingsdurchsagen heraus oder ist das völlig egal?

Schneider: Es ist alles ähnlich, ich kann das schwer sagen. Natürlich sagt man Namen, die man gut kennt. Manche wiederum hat man auch als Wienerin noch nie im Leben gehört. Vor den englischen Ansagen habe ich mich eher gefürchtet, die sind aber sehr gut gegangen. Das hat richtig Spaß gemacht. Aber generell ist das nicht so emotional belegt.

derStandard.at: Auch nicht die Station, bei der man seit Jahren aussteigt?

Schneider: Vielleicht ist das kurz ganz lustig, es ist aber nur ein Wort von hunderten. (Oliver Mark, derStandard.at, 10.12.2012)