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Semifinal-Rückspiel im Handball-Europacup zwischen Hypo Südstadt und Radnicki Belgrad am 17. April 1988. Nach dem Sieg von Hypo ein glücklicher Gunnar Prokop und die erschöpfte Jasna Kolar-Merdan.

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Kolar-Merdan im Dezember 2012 vor dem Café Memory.

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Maria Enzersdorf - In der Ecke steht eine Yuccapalme, die Spitzen ihrer Blätter sind entweder welk oder schon abgebrochen. An der Wand hängen ein Renoir, ein Klimt und ein Coca-Cola-Spiegel, der Coca-Cola-Spiegel ist echt. Ein Fenster wird von einer Leuchtschlange eingerahmt, auf den Tischen stehen Aschenbecher mit Schremser-Bier-Aufdruck. Ein Bierdeckel ist noch vom letzten Bummerl bekritzelt. "Im Sommer kann man draußen sehr nett sitzen, da ist es richtig lauschig", sagt Jasna Kolar-Merdan. Aber im Winter ist es Winter.

Das Café Memory im Südstadtzentrum in Maria Enzersdorf muss schon bessere Zeiten erlebt haben. Hat es auch, sagen Kolar-Merdan und ihr Mann Nenad, die es seit 18 Jahren betreiben. Nur an Feiertagen wird geruht, prinzipiell ist sieben Tage die Woche geöffnet. In den ersten Jahren ist es richtig gut gelaufen, vom großen EVN-Gebäude zog es nicht wenige herüber ins Memory, wo Nenad zu Beginn eine respektable Pizza hinbekam.

Damals war das Memory fast konkurrenzlos, mittlerweile gibt es im Südstadtzentrum ein großes Restaurant namens Ambiente, einen Radatz, eine Konditorei und einen Zielpunkt, Kebab und Pizza gibt es sowieso. Das Memory bietet maximal noch Kleinigkeiten à la Toast oder Würstel an, es kommen fast ausschließlich Stammgäste, nicht mehr als zwei Dutzend, darunter einige EVN-Pensionisten.

"Aber wer will eine 56-Jährige?"

"Sollen wir davon leben können?", fragt Jasna Kolar-Merdan und antwortet selbst. "Davon können wir nicht leben." Gut möglich, dass sie das Café bald aufgeben, Jasna ist auf Jobsuche. "Aber wer will eine 56-Jährige?" Als sie aus jetziger Sicht mit 28 auf halbem Wege war, wollte sie ein gewisser Gunnar Prokop. Die Bosnierin war schon eine der weltbesten Handballerinnen, hatte mit Jugoslawien Olympia-Silber 1980 und WM-Bronze 1982 (52 Tore, WM-Rekord) gewonnen. In Los Angeles 1984 passierte viel - Kolar-Merdan warf 48 Tore (Olympia-Rekord), allein 17 (Olympia-Rekord) beim 33:20 gegen die USA, holte mit Jugoslawien Gold. Und Gunnar Prokop holte Kolar-Merdan in die Südstadt.

28 Jahre, in diesem Alter hören viele Handballerinnen auf. Kolar-Merdan fing neu an und führte den Prokop-Verein Hypo Südstadt (später Hypo Niederösterreich) an die europäische Spitze. Zu den ersten Triumphen im Meistercup (später Champions League) trug sie entscheidend bei, besonders zur Premiere 1989 gegen Spartak Kiew. 1990, als gegen Krasnodar die Titelverteidigung gelang, wurde sie zur Welthandballerin des Jahres gekürt. Hypo galt grosso modo als Truppe von Legionärinnen und Eingebürgerten. Für Kolar-Merdan, seit 1985 Österreicherin, hat sich einiges relativiert. "Damals wurde viel über Einbürgerungen geredet. Heute sind Legionäre im Sport normal. Wer redet denn darüber, wie viele Spanier bei Real Madrid und wie viele Engländer bei Chelsea spielen?"

Die Übersicht und Olympia

Kolar-Merdan galt daheim in Mostar zunächst gar nicht als herausragendes Handballtalent, erst nach und nach stellten sich ihre Qualitäten heraus. "Größtes Plus war meine Übersicht, zweitgrößtes war meine Hand." Als Rechtshänderin spielte sie Aufbau Mitte oder Aufbau links, auch in Österreichs Team, für das sie in 163 Spielen 1206 Tore erzielte.

1992 in Barcelona bestritt Kolar-Merdan ihre dritten Olympischen Spiele. Ihre neue Heimat Österreich, das ist schon bemerkenswert, war ins Teilnehmerfeld gerutscht, weil ihre alte Heimat Jugoslawien aus Kriegsgründen ausgeschlossen wurde - und, nebstbei, weil das doppelt qualifizierte Deutschland nur einfach antrat. Österreich schaffte den fünften Platz, was vielfach als Erfolg gepriesen wurde.

Laut Kolar-Merdan, die sich von Teamchef Vinko Kandija nicht unbedingt protegiert fühlte, wäre mehr möglich gewesen. Die Tatsache, dass Österreich dem späteren Olympiasieger Südkorea ein Remis abrang (27:27) und dem späteren Olympiazweiten Norwegen nur knapp unterlag (17:19), gibt ihr Recht. Gegen Südkorea hatte Kolar-Merdan elfmal getroffen, zwei Tage später gegen Norwegen war sie dennoch nicht Kandijas erste Wahl und mit zwei Toren unzufrieden. "Die Stimmung in der Mannschaft war nicht gut", sagt sie, "und die Stimmung in der Mannschaft ist immer das Wichtigste."

Pionier Prokop

Gunnar Prokop war und ist für Kolar-Merdan "ein Pionier. Man kann ihn mögen oder nicht, aber er hat enorm viel bewegt im Handball." Ob er oder sie daran schuld ist, dass sie sich nach vielen gemeinsamen Jahren und Erfolgen überwarfen, kann und will sie nicht mehr sagen. "Traurig ist, dass ich weder bei Hypo noch im Nationalteam ein Abschiedsspiel bekommen habe. Ich denke, ich hätte es verdient gehabt." Sie spielte als 40-Jährige noch auf höchstem Niveau, spielte, obwohl sie verletzt, und spielte auch, als sie schwanger war.

Ihre Tochter (21) strebt ein Tourismusstudium an der FH in Krems an, ihr Sohn (16) besucht die HAK in Mödling. Nach Mostar fahren die Kolar-Merdans nur selten, die meisten Verwandten sind Jasna ohnedies nach Österreich gefolgt, spätestens zu Kriegszeiten. Auf ihre Schwester Sanja Turkovic, die als Landschaftsarchitektin für ihr Konzept " Seniorenspielplätze" einige Preise gewann, ist Jasna besonders stolz.

Weiterwursteln oder Neues wagen?

Sorgen macht sie sich um ihre eigene Zukunft. Weiterwursteln oder doch etwas Neues wagen? Und was? Als Handballtrainerin hat sich Kolar-Merdan versucht - wechselnder Erfolg, geringer Lohn. Manchmal hadert sie, dann sagt sie: "Zehn Jahre später geboren, wäre ich Millionärin. Jetzt kämpfe ich um meine Existenz." Und sie berichtet von drei Operationen am linken Knie, und sie zeigt ihre rechte, wegen Arthrose geschwollene Hand her.

Im Südstadtzentrum in Maria Enzersdorf hängen vor dem Café Memory, wo man im Sommer bestimmt lauschig sitzen kann, drei Leuchttafeln. Auf der ersten wird "Schremser Pils vom Fass" erhellt, "Stambulia Kaffee" auf der dritten. Ausgerechnet die mittlere Leuchttafel bleibt dunkel, es ist die, auf der "Café Memory" steht. (Fritz Neumann, DER STANDARD, 10.12.2012)