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"Die Liebe der Männer bringt uns um" war einer der Slogans bei Frauendemonstrationen in der Türkei.

Foto: REUTERS/Murad Sezer

Sie suchte sich einen Platz in den hinteren Reihen und hatte dick Make-up aufgetragen, um das blaugeschlagene Auge zu verbergen. Aber die Nachricht hatte sich längst herumgesprochen: Fatma Salman, eine Parlamentsabgeordnete der türkischen Regierungspartei AKP, war von ihrem Ehemann verprügelt worden.

Parlamentarierinnen aller Fraktionen gingen zu Salmans Platz und drückten ihr die Hand. Auch die Männer zeigten sich schockiert. Erstmals hat die scheinbar stetig wachsende Gewalt gegen Frauen in der Türkei auch das Parlament erreicht.

"Foto der Brutalität"

Ein "Foto der Brutalität" nannte Parlamentspräsident Cemil Çicek das Bild mit dem geschwollenen Gesicht der Abgeordneten; er hatte an der Sitzung vergangene Woche nicht teilgenommen. Noch am selben Tag sprach ein Richter die Scheidung aus.

Fatma Salman, Mutter dreier Kinder, lebte bereits getrennt von ihrem Mann Idris Kotan. Ihm droht eine Haftstrafe wegen Körperverletzung. Die konservativ-islamische Regierung hat sich den Kampf gegen die häusliche Gewalt auf ihre Fahnen geschrieben und im März ein Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht.

Mentalität der türkischen Männer bleibt

Das Gesetz sei gut, meint Melike Keles von Mor Cati, einem Istanbuler Hilfsverein für Frauen; doch auch das beste Gesetz ändere nicht die Mentalität der türkischen Männer: "Wenn eine Frau auf die Wache geht, kümmern sich die Polizisten nicht wirklich um die Frau als Person. Sie sehen das als Familienproblem. Als etwas, wo man nur gut zureden muss und wo sich vermitteln lässt."

Die Zahl von Frauen, die sich nun an die Polizei wenden und um Schutz vor ihren Ehemännern bitten, ist rasant gestiegen. 4650 Frauen waren es in den ersten acht Monaten in Izmir, 3900 in Ankara, 2800 in Istanbul und 1350 in Antalya. Allein in Izmir verbannte die Justiz 800 Ehemänner aus der gemeinsamen Wohnung.

Heuer 140 Frauen getötet

Angriffe verhindert dies nicht. 140 Frauen sind in diesem Jahr bereits von ihren Ehemännern oder Lebensgefährten umgebracht worden. In Konya, einer konservativen anatolischen Großstadt, bietet ein Verein deshalb Frauen gar Unterricht im Schießen an.

Melike Keles ist strikt dagegen. Sie fordert die Regierung auf, ihr Gesetz wahrzumachen und ein Frauenhaus pro 50.000 Einwohner zu öffnen. Es müssten 1500 sein - tatsächlich gibt es in der Türkei 103. (Markus Bernath, DER STANDARD, 10.12.2012)