Nun haben also drei Präsidenten der EU den Friedensnobelpreis entgegengenommen, stellvertretend für die BürgerInnen der EU, die dieses Ereignis ebenso gelassen oder uninteressiert sehen wie die meisten ihrer RegierungschefInnen, deren Andrang zum feierlichen Akt sich in engen Grenzen hielt.

Erfolgreicher Kampf für Frieden und Versöhnung?

Dies ist bedauerlich. Denn wenn diese höchst zweifelhafte Preisverleihung irgendeine Funktion haben soll, dann doch die, die EuropäerInnen wieder stolz auf die europäische Integration zu machen. Das war wohl auch die Absicht des Komitees, das in seiner Begründung des Preises schreibt: "Die EU erlebt derzeit ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten und beachtliche soziale Unruhen. Das Norwegische Nobelkomitee wünscht den Blick auf das zu lenken, was es als wichtigste Errungenschaft der EU sieht: den erfolgreichen Kampf für Frieden und Versöhnung und für Demokratie sowie die Menschenrechte; die stabilisierende Rolle der EU bei der Verwandlung Europas von einem Kontinent der Kriege zu einem des Friedens."

Es ist dem Nobelkomitee sicherlich positiv anzurechnen, dass es sich bemüht, in einer schwierigen Zeit den Geist der europäischen Integration gegen die immer stärker aufkommenden Nationalismen in Europa zu bewahren oder wieder zu erwecken. Dass diese Absicht wohl weitgehend verpuffen wird, hätte allerdings vorausgesehen werden können - gerade an Symbolpolitik herrscht in der EU kein Mangel; eher fehlt es an konkreten Politiken der Solidarität.

Ignoranz gegenüber Repressionen der EU

Doch der Skandal dieses Preises liegt nicht in seiner vermutlich gut gemeinten Wirkungslosigkeit - er liegt in seiner Ignoranz gegenüber den Repressionen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten. Einerseits gegen Teile ihrer BürgerInnen, unter ihnen insbesondere die GriechInnen, SpanierInnen und andere, die durch Austeritätsmaßnahmen in die Armut getrieben werden und deren politische Proteste allen Bekenntnissen zu Meinungsfreiheit und Demokratie zum Trotz gewaltsam niedergehalten werden.

Und andererseits und insbesondere gegen Nicht-EU-BürgerInnen, die sich von Europa Menschenrechte und Demokratie erhoffen, und die durch die herrschende Gesetzgebung und Judikatur in völlige Rechtlosigkeit getrieben werden.

Lassen wir die Symbole und Sonntagsreden und reden wir Klartext: Hier herrscht Krieg. Täglich ertrinken Menschen im Mittelmeer oder sterben auf andere Art an den EU-Außengrenzen. Täglich werden Urteile über das Schicksal von Menschen willkürlich und ohne ausreichende Beweiswürdigung gefällt. Täglich werden Menschen in ungewisse Schicksale abgeschoben. Täglich werden Menschen auf der Grundlage des Dublin-Abkommens zwischen den Mitgliedsstaaten hin- und hergeschoben. Und täglich kämpfen AsylwerberInnen und abgelehnte AsylwerberInnen in völliger Rechtlosigkeit um die Möglichkeit zu überleben.

Menschenrechte sind nicht nur europäisch

Laut Nobels Testament soll der Friedensnobelpreis an den gehen, der "am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker" hingewirkt hat.

Die Verbrüderung der Völker kann heute weniger denn je auf Verzicht auf Kriege zwischen Nationen reduziert werden. Die Verbrüderung der Völker hat hingegen viel mit dem zu tun, was innerhalb der EU gelten soll - Freizügigkeit und Chancengleichheit von Menschen verschiedener Nationalität. Doch wenn dies nur innerhalb der EU gedacht wird, geht das Konzept nicht nur an den Realitäten der Globalisierung, sondern auch an den Ansprüchen von Nobel vorbei. Und an den berechtigten Forderungen von denjenigen, die jetzt etwa in Wien und Berlin in Flüchtlingscamps ihre unerträgliche Lebenssituation anprangern.

Menschenrechte sind nicht europäisch, sondern universal. Solange das in der EU nicht erkannt und nicht praktiziert wird, herrscht hier Krieg. (Monika Mokre, Leserkommentar, derStandard.at, 11.12.2012)