Wer ist der Freind? - Eine Frage die "Neprijatelj" nicht beantorten kann.

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Der Koproduktion Serbiens, Kroatiens, Bosnien und Herzegowinas sowie Ungarns, wird in Österreich - zu Unrecht - wenig Beachtung geschenkt. "Neprijatelj" ist nämlich eine gelungene Allegorie über die Wahrnehmung der Wirklichkeit, über die Manipulation dieser Wahrnehmung sowie der Rolle der Angst bei der Konstruktion von Freund- und Feindbildern. Der Film illustriert zudem auf beindruckende Art und Weise, wie vermeintlich banale Ereignisse zum Katalysator der Entfremdung von Menschen(gruppen) werden können.

Der Plot

Einige Tage nach der Unterzeichnung des Friedenabkommens von Dayton und dem daraus resultierenden Ende des Krieges in Bosnien und Herzegowina wird ein kleines serbisches Team von Soldaten zur Entminung eines Landstriches verdonnert. Im Laufe ihrer Arbeit und der Erkundung der Gegend stoßen sie in einer Fabrikruine auf einen Mann, der dort ohne jegliche Verpflegung in ein dunkles Loch einbetoniert zurückgelassen wurde. Er wird von der Gruppe in ihr Lager (ein zerstörtes Haus) mitgenommen und das Mysterium, wer dieser nicht gerade auskunftsfreudige Mann nun sei, beginnt die Gruppe allmählich voneinander zu entfremden.

Auf der Suche nach Informationen über den geheimnisvollen Fremden begeben sich die Soldaten wieder zur Fabrikruine, bei der sie auf zwei weitere Soldaten (ein Bosniake, ein Serbe) treffen.
Es kommt zu einer kurzen Schießerei, bei der der bosniakische Soldat verletzt wird und der andere flüchten kann.

Der verletzte Soldat zeigt sich erbost darüber, dass der Fremde freigelassen wurde, da er ihn für die Inkarnation des Teufels hält. Anfänglich von der Gruppe noch belächelt, wird durch mysteriöse Ereignisse der Glaube, dass der Fremde tatsächlich die Inkarnation des Bösen ist, immer mehr manifest. Einzig der (Aber-)Glaube, dass das Töten des Fremden kataklystische Folgen hätte, verhindert sein Ableben. Die zuvor verborgenen Risse in den Beziehungen der Soldaten werden aufgebrochen und die Rangordnungen und Loyalitäten innerhalb der Gruppe immer diffuser.

Wer ist denn nun jetzt der Feind? Andere Ethnien, Religionen, der/das Fremde? Oder sind solche Zuschreibungen nur ein Produkt unserer unreflektierten und manipulierten Wahrnehmung? Das Wechselspiel von "naši" (unsere), "vaši" (eure) und "njihovi" (ihre) verdeutlicht die brüchigen Grenzen zwischen Freund- und Feindschaft.

Intelligent werden kleinere Subplots im Film verwoben, wie etwa die junge Frau, die plötzlich beim Lager der Soldaten aufkreuzt und sich als Tochter des Hausbesitzers ausgibt. Sie müsse auf die Rückkehr ihres Vaters warten, so die junge Frau: Symbolbild für das Abwarten der untätigen Zivilgesellschaft.

Wer oder was ist das Böse?

Zwar wird der Film als Drama, Horror, Thriller geführt, er könnte sich aber genauso als ein Antikriegsfilm seine Sporen verdienen. "Neprijatelj" ist ein Film, der sich aus verschiedenen Richtungen der komplexen Realität rund um das Gute und das Böse zu nähern versucht. Wer oder was ist das Böse? Ist das Böse etwas Metaphysisches, oder ist es doch etwas in uns Menschen Innenwohnendes? Welche sozialisierenden Wirkungen hat der (Aber)Glaube an das metaphysische Böse? Wird der Mensch durch ein metaphysisches Wesen zum Bösen verführt/gezwungen, oder ist das Böse eine persönliche Entscheidung? Haben wir tatsächlich Einfluss auf das Böse, oder sind wir nur Opfer bzw. Spielfiguren eines göttlichen Kampfes?

Haben wir eine Wahl?

Obwohl sich der Film mit einer Menge an "großen" Themen (die zwar am Balkan verortet sind, dennoch eine globale Gültigkeit besitzen) auseinandersetzt, wirkt er trotzdem nie zu banal. Vielleicht auch deswegen, weil er Fragen nie zur Gänze zu beantworten versucht, sondern lediglich zu Selbstreflexion führen will. So auch die Frage, welche Möglichkeiten es nun gibt, nach all dem, was passiert ist.

Am Ende des Filmes stehen die Protagonisten an einer Wegkreuzung. Während die junge Frau daran glaubt, dass sie eine Wahl hat und das Böse nicht im Fremden sucht, glaubt der Befehlshaber der Soldaten, dass es keine Wahl gibt und er den Fremden (das personifizierte Böse) wieder in das Loch einsperren muss. "Jeder sieht das, was er möchte", sagt die junge Frau darauf.

Schlussendlich wird der Glaube an die Möglichkeiten zum Scheideweg der künftigen gesellschaftlichen Entwicklung in sowohl Bosnien und Herzegowina als auch am Balkan generell (und nicht zuletzt auch auf der Welt) sein. Die Stärke des Filmes liegt in seiner Kraft, die Zuseher zur Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Fragen zu animieren, und das passiert im Rahmen einer packenden und visuell gut umgesetzten Geschichte. Schade, dass es (noch) keine deutschsprachige Übersetzung gibt. (Siniša Puktalović, 10.12.2012)