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Der im Exil lebende Politbüro-Chef der Hamas, Khaled Meshaal, tritt vor der Kulisse einer Modellrakete auf.

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Khaled Meshaal (li.) mit Gastgeber und Hamas-Anführer Ismail Hanija.

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Zehntausende Palästinenser haben am Samstag an der 25-Jahres-Feier der "Islamischen Widerstandsbewegung" (Hamas) im Gazastreifen teilgenommen. Der im Exil lebende Politbüro-Chef der Hamas, Khaled Meshaal, stand dabei zum ersten Mal überhaupt in Fleisch und Blut vor den Anhängern der islamistischen Bewegung in Gaza.

"Wir werden kein Stück Palästina aufgeben. Staatlichkeit wird ein Produkt des Widerstandes sein und nicht von Verhandlungen", sagte Meshaal in einer ungewohnt aggressiven Rede, die heftige Kritik in Israel provozierte. "Gestern hat sich das Gesicht unserer Gegner erneut gezeigt. Sie wollen keinen Kompromiss mit uns, sie wollen diesen Staat zerstören", konterte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu während der Kabinettssitzung am Sonntag.

Israel und die Hamas lieferten sich erst im November acht Tage lang einen Kleinkrieg, bei dem 158 Palästinenser und sechs Israelis getötet wurden. Unter ägyptischer Vermittlung kam es am 21. November zu einem Waffenstillstand. Die Hamas wertete das als Sieg des eigenen Widerstandes. Das wurde bei der Feier in Gaza nicht nur in den Reden klar, sondern auch durch den üblichen Widerstandskitsch unterstrichen: Einige Kinder kamen in Kampfuniform zur Kundgebung, hinter den Rednern bildete das Riesenplakat einer Mittelalterburg die Kulisse, und daneben thronte das Modell einer Rakete.

Zwischen Gewalt und Politik

Die Kundgebung markierte nicht nur ein Vierteljahrhundert Hamas, sondern auch den Jahrestag der ersten palästinensischen Intifada, die am 8. Dezember vor 25 Jahren nach dem Zusammenstoß eines israelischen Militärjeeps mit einem palästinensischen Fahrzeug begann, in dem vier Palästinenser ums Leben kamen. Die Hamas wurde aus dieser Intifada im Jahr 1987 geboren und längere Zeit sogar von Israel unterstützt in der Hoffnung, die damals noch militante Fatah zu untergraben.

Die oft zitierte Hamas-Charta von 1988 zeichnete die jihadistischen und antiisraelischen Ziele der Bewegung dann klar heraus. Die Hamas hat die Charta nie offiziell revidiert, sich jedoch faktisch von deren radikaler Rhetorik distanziert. Experten haben in den letzten Jahren immer wieder einen Trend der Hamas hin zu moderaten Zielen erkannt, bekräftigt durch Meshaals Befürwortung einer Zweistaatenlösung, die indirekte Anerkennung Israels, und die Betonung von gewaltfreiem Widerstand. Doch mit dem jüngsten Gaza-Krieg scheint die Hamas-Rhetorik wieder auf die Symbolkraft des bewaffneten Widerstands zu setzen. 

Mit seinem ersten Besuch in Gaza und einigen wohldurchdachten harten Worten markierte der 56-jährige Meshaal am Samstag ein neues Selbstbewusstsein seiner Bewegung. Meshaal selbst kam in Kuwait zum ersten Mal mit der Muslimischen Bruderschaft in Kontakt, zu der auch die Hamas gehört. 1997 überlebte er dann nur knapp ein Attentat israelischer Agenten in Jordanien. Nach Jahren im syrischen Exil verbringt die politische Hamas-Führung jetzt die meiste Zeit auf dem Boden der neuen Verbündeten Katar und Ägypten. Beeinflusst von den Umbrüchen in der arabischen Welt und der starken Rolle Ägyptens scheint die Hamas die rivalisierende Fatah-Partei von Palästinenserpräsident Abbas immer mehr in den Schatten zu stellen.

Zeichen neuer Einheit

Die Fatah ist die stärkste Kraft in der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), die international als Palästinenservertretung anerkannt wird, während die Hamas trotz des Wahlsiegs über die Fatah bei den Parlamentswahlen 2006 weiterhin nicht Mitglied der PLO ist. Aufgrund ihrer militanten Orientierung wird die Hamas von Israel und der Europäischen Union weiterhin als terroristische Organisation eingestuft, während die Fatah als potenzieller Partner für Friedensverhandlungen gesehen wird.

In Wahrheit vertritt mittlerweile aber weder Präsident Abbas noch die Hamas eine demokratische Mehrheit in Palästina. Die einzige Lösung des Dilemmas wäre eine Regierung der nationalen Einheit und eine PLO-Mitgliedschaft der Hamas. Doch daran scheitern die Streitparteien seit Jahren. Glaubt man dem ehemaligen palästinensischen Präsidentschaftskandidat Mustafa Barghouti, könnte sich das bald ändern.

"Die Atmosphäre zwischen den Parteien ist viel besser", sagt der 58-jährige Vorstand der kleinen Partei Mubadara, der daneben eines der Komitees im palästinensischen Versöhnungsprozess leitet. "Die Hamas lässt mehr Präsenz der Fatah in Gaza zu, und die Fatah erlaubt mehr Hamas im Westjordanland. Es wird bald ein neues Treffen aller Parteivertreter geben." Derartige Ankündigungen sind aus den Reihen der politischen Rivalen in Palästina nichts Neues, doch diesmal könnten jüngste Erfolge die Parteien Fatah und Hamas tatsächlich ein Stück näher zusammenwachsen lassen.

"Das Gefühl von Erfolg macht die nationale Einheit wieder wahrscheinlicher", sagt Hassan Kreishe, der Vizesprecher des palästinensischen Parlaments, das jedoch aufgrund des Bruderkonflikts kaum funktionsfähig ist. Gerade weil Fatah und Hamas beide jüngst einen Popularitätsschub einbuchen konnten, sei ein Kompromiss heute wieder wahrscheinlicher. "Würde jetzt gewählt werden, ich denke beide Parteiein wären ungefähr gleich auf", sagt Kreishe, der sich als unabhängig beschreibt, dem aber eine Nähe zur Hamas nachgesagt wird. Diese Ebenbürtigkeit sei gut für die Kompromissbereitschaft.

Hamas zurück ins Westjordanland?

Im Westjordanland, wo er mit seiner Familie lebt, war die Hamas lange Zeit verfolgt und unterdrückt, wie auch die Fatah in Gaza. Hamas-nahe Lehrer wurden von der Fatah-dominierten Palästinensischen Autonomiebehörde entlassen, Funktionäre verhaftet, und Proteste im Keim erstickt. Doch die Hamas sei im Westjordanland wieder stärker und sichtbarer geworden, sagt Kreisheh. Grund zur Sorge sei das seiner Meinung nach nicht. "Meshaal hat eine aggressive Rede gehalten, weil er Werbung unter den eigenen Leuten in Gaza macht. Aber in Wahrheit ist die Hamas moderat geworden. Anstatt Iran und Syrien blickt die Hamas jetzt nach Katar, Ägypten und in die Türkei."

Der unabhängige Meinungsforscher Walid Ladadweh meint, dass sowohl Hamas als auch Fatah an Popularität gewonnen haben. Dabei sei die Hamas vermutlich ein kleines Stück weiter vorne. Hinzu käme, dass viele Hamas-Angehörige im Westjordanland bei Umfragen ihre Zugehörigkeit verschweigen, sodass die Einschätzung zugunsten der Hamas an Gewicht gewinnt. (Andreas Hackl, derStandard.at, 11.12.2012)