Ein düsteres Bild vom italienischen Journalismus zeichnet Octavia Brugger, langjährige RAI-Korrespondentin und Kritikerin der Berlusconisierung des Landes, im "Medienquartett" auf Okto: Journalisten sind Politikern zu Diensten, Professionalität ist nicht gefragt, Leistung wird nicht belohnt.
Journalisten seien von Berlusconi erzogen worden, sich in den Dienst eines Medienzaren, Zeitungsbesitzers oder Politikers zu stellen, schildert Brugger. "Es gibt kaum Rückgrat", das Letzte, worauf es ankomme, sei Professionalität. Die Journalistin erzählt aber auch von der langen Tradition, sich in den Dienst des Stärkeren zu stellen. Machiavelli lässt grüßen. Mafia, Vatikan, Mussolini hätten Spuren hinterlassen. Eine Kultur des Watchdog-Journalismus? Fehlanzeige.
Weiterkommen mit den "Heiligen im Paradies"
"Du musst nicht gut sein, du musst nur den richtigen 'Heiligen im Paradies' haben, dann kommst du weiter. Aber nicht aufgrund deines Talentes, deines Könnens, deiner Leistung. Das gibt es in Italien nicht", sagt Brugger. Italien sei eine "ungerechte Gesellschaft", die nicht die Leistung belohnt. Darunter leide die junge Generation - meist unter prekären Arbeitsbedingungen, wie sie Alessia Cerantola, kürzlich mit dem Press Freedom Award 2012 ausgezeichnet, schildert.
Mit der Südtiroler Journalistin Octavia Brugger diskutierten Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich, "Falter"-Chefredakteur Armin Thurnher und die Philosophin Herlinde Pauer-Studer.
Brugger fordert freien Zugang zum Journalistenberuf
Die Jungen sind es auch, die ohne Schutz, zum Beispiel der sehr guten Sozialversicherung für Journalisten, auskommen müssen. Denn sie sind kaum in der von Mussolini gegründeten, und später wieder eingeführten, Journalistenkammer vertreten, wollen oder können die teils "lächerliche", Staatsprüfung nicht ablegen, so Brugger. Die "Ordine dei Giornalisti" sei ein Vorwand, um Journalisten wie eine Kaste zu behandeln, die sich anderen Kasten gegenüber verpflichtet fühlt. Sie fordert die Abschaffung der Berufskammer. "Der Zugang zum journalistischen Beruf muss frei sein."
Grundproblem Wahrheit
Und wie steht es um die Ethik im Journalismus, fragt Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich. Italienische Journalisten sehen Ethik nicht als wichtig an, so Brugger, das Grundprinzip des Journalismus, "das Wahrheitsprinzip, wird nicht ernst genommen. Journalisten müssen für Berlusconi Propaganda machen und die Wahrheit sogar verfälschen, damit er ein besseres Bild abgibt", sagt Brugger. "Das Grundelement des Journalismus, die Wahrheit, ist im italienischen Journalismus ein Grundproblem. Deswegen ist die Situation so derart degeneriert."
Fall Sallusti
Zeitungen hätten in Leitartikeln auch Diffamierung auf Befehl betrieben, "gegen jeden, der Berlusconi angegriffen hat. Einer der Hauptprotagonisten dieser 'Schlammmaschine' war Alessandro Sallusti." Jener Mann, der sich im Hausarrest befindet, "übelste Verleumdungen betrieben hat", und sich nun als Opfer der Meinungsfreiheit hinstellt. Der Chefredakteur der Tageszeitung "Il Giornale" verantwortet einen Leitartikel, in dem der Autor einen "Richter als Mörder" bezeichnet. Bei diesem Journalisten "wurde jetzt begonnen, das Prinzip des Gefängnisses anzuzweifeln", sagt die RAI-Journalistin. "Falter"-Chefredakteur Armin Thurnher: "Eine Beschneidung der Meinungsfreiheit." Brugger: "Moment! Meinungsfreiheit, um jemanden Verleumden zu können." (Sabine Bürger, derStandard.at, 11.12.2012)